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Der Omega-Punkt: Roman (German Edition)

Der Omega-Punkt: Roman (German Edition)

Titel: Der Omega-Punkt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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bis sie ihn berührte. Das weiß sie heute nicht mehr, sie war klein, Ärzte, Untersuchungen, ihre Mutter zwickte sie, spärlichste Reaktion. Sie war kein Kind, das imaginäre Freunde brauchte. Sie war sich selbst imaginär.
    Dann redeten wir über nichts Besonderes, Haushaltsdinge, eine Fahrt in die Stadt, aber gewisse Themen raunten am Rande. Vaterliebe, das war eines davon, und das stillstehende Leben des anderen Mannes und die junge Frau, die nicht hier sein wollte, und noch andere Fragen, implizit, der Krieg, seine Rolle, mein Film.
    Ich sagte: »Die Kamera steht auf einem Dreifuß. Ich sitze daneben. Sie schauen mich an, nicht die Kamera. Ich benutze das verfügbare Licht. Gibt es Straßengeräusche? Ist uns egal. Hier handelt es sich um Primatenfilmerei. Menschheitsdämmerung.«
    Ein schwaches Lächeln. Er wusste, ich redete nur so. Der Grund für mein Hiersein war allmählich verblasst. Ich war einfach hier, redete nur. Ich wollte die Vorstellung loswerden, wieder dorthin zurückzukehren, zur Verantwortung, zu den alten Sorgen, zu dem Brennen, etwas anzufangen, das nirgendwohin führen würde. Wie viele Anfänge, bevor man das Verlogene an der eigenen Aufregung erkennt? Eines nicht mehr fernen Tages wird all unser Gerede, seines und meines, wie ihres sein, bloßes Gerede, in sich geschlossen, ohne Bezug. Wir werden da sein, wie Fliegen und Mäuse da sind, verortet, nichts anderes sehend und wissend als das, was unsere vernachlässigte Natur zulässt. Ein trübes Idyll im sommerlichen Tiefland.
    »Die Hinfälligkeit der Zeit. Das spüre ich hier«, sagte er. »Wie die Zeit langsam älter wird. Enorm alt. Nicht Tag für Tag. Dies ist tiefe Zeit, epochale Zeit. Unser Leben, das sich in die lange Vergangenheit zurückzieht. Das ist es, was da draußen liegt. Die Pleistozän-Wüste, das Gesetz des Aussterbens.«
    Ich dachte an die schlafende Jessie. Sie schloss vermutlich die Augen und verschwand, das war eines ihrer Talente, dachte ich, sie versinkt sofort im Schlaf. Jede Nacht dasselbe. Sie schläft auf der Seite, zusammengerollt, embryohaft, kaum atmend.
    »Das Bewusstsein akkumuliert sich. Es beginnt über sich selbst nachzudenken. Das hat etwas beinahe Mathematisches, finde ich. Fast als gäbe es irgendein Gesetz der Mathematik oder Physik, das wir noch nicht richtig entdeckt haben und nach dem der Geist jede Wendung nach innen transzendiert. Der Omega-Punkt«, sagte er. »Was immer dieser Begriff bedeuten soll, falls er eine Bedeutung hat, falls sich da nicht die Sprache abrackert, um einen Gedanken außerhalb unserer Erfahrung zu erfassen.«
    »Was für einen Gedanken?«
    »Was für einen Gedanken. Einen Paroxysmus. Entweder eine erhabene Verwandlung von Geist und Seele oder irgendeine weltliche Zuckung. Das wollen wir haben.«
    »Sie glauben, wir wollen das haben.«
    »Wir wollen das haben. Irgendeinen Paroxysmus.«
    Er mochte das Wort. Wir ließen es stehen.
    »Überlegen Sie mal. Wir verabschieden uns völlig aus dem Dasein. Steine. Es sei denn, Steine hätten auch ein Dasein. Es sei denn, es gäbe eine zutiefst mystische Verschiebung, die Dasein in einen Stein verlagert.«
    Unsere Zimmer hatten eine gemeinsame Wand, ihres und meines, und ich stellte mir vor, wie ich im Bett lag, aufmerksam knapp unter der Oberfläche, halb halluzinatorisch, dafür gibt es ein Wort, und ich versuchte, auf zwei Ebenen an das Wort zu denken, auf der Terrasse sitzend und im Bett ausgestreckt, hypnagog, das war es, und nur einen Meter entfernt liegt Jessie und träumt fröhlich vor sich hin.
    »Genug für einen Abend«, sagte er. »Genug und genug.«
    Er schien sich umzusehen, wo er sein Glas abstellen sollte. Ich nahm es ihm ab, beobachtete, wie er ins Haus ging, und bald erlosch das Licht in seinem Schlafzimmer.
    Oder hellwach, können beide nicht schlafen, und sie liegt auf dem Rücken, die Beine gespreizt, und ich setze mich auf und rauche eine, obwohl ich seit fünf Jahren keine Zigarette mehr geraucht habe, und sie trägt, was immer sie im Bett trägt, T-Shirt bis zu den Oberschenkeln.
    Ich hatte immer noch Elsters Glas in der Hand. Ich stellte es auf die Terrasse, trank langsam meinen Drink aus und stellte mein Glas neben seines. Ich ging hinein und schaltete ein paar Lichter aus, dann stand ich vor ihrem Zimmer. Zwischen der Tür und dem Pfosten gab es einen Zwischenraum, und ich schob behutsam die Tür auf und blieb stehen, abwartend, bis sich die Dunkelheit so weit abgemildert hatte, dass ich Umrisse wahrnehmen

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