Der Omega-Punkt: Roman (German Edition)
wollte. Denn ich musste clever sein, vorsichtig. Wir waren zu dritt allein hier, und ich war der eine in der Mitte, der potenzielle Störenfried, der Familienkaputtmacher.
Als das Licht in Elsters Schlafzimmer ausging, wurde mir klar, was für einen Rückfall in unschuldige Zeiten der Augenblick darstellte, ein Junge und ein Mädchen im Teenageralter, die darauf warteten, dass die Eltern des Mädchens zu Bett gingen, nur dass ihre Eltern geschieden waren und verbittert, und ihre Mutter war schon vor drei Stunden zu Bett gegangen, Eastern Standard Time, und vermutlich nicht allein.
Ich bat sie, herüberzukommen und sich zu mir zu setzen. So drückte ich mich aus, sich zu mir zu setzen. Sie überquerte die Terrasse, und wir saßen eine Zeit lang da. Sie sagte, sie habe an ein älteres Ehepaar gedacht, das sie manchmal zum Arzt brachte oder dem sie zu Hause half. Sie saßen tagsüber alle vor dem Fernseher, und die Frau sah immer ihren Mann an, um seine Reaktion auf alles zu prüfen, was die Leute auf dem Bildschirm sagten oder taten. Aber er zeigte keine Reaktion, er zeigte nie eine Reaktion, er bemerkte nicht mal, dass sie ihn ansah, und Jessie fand, das sei das ganze lange Schauspiel einer Ehe, sozusagen Tröpfchen für Tröpfchen, der eine Kopf drehte sich, der andere merkte nichts. Sie verlegten die ganze Zeit Sachen und verbrachten Stunden und dann Tage, um sie wiederzufinden, das Geheimnis verschwindender Gegenstände, Brillen, Füller, Steuerunterlagen, Schlüssel natürlich, Schuhe, ein Schuh, beide Schuhe, und Jessie suchte gern, sie war gut darin, alle drei bewegten sich durch die Wohnung und redeten, schauten nach, versuchten zu rekonstruieren. Das Paar benutzte altmodische Füller, die noch mit richtiger Tinte gefüllt werden mussten. Es waren nette Leute, unstinkend reich, die die ganze Zeit verloren, verlegten, fallen ließen. Sie ließen Löffel fallen oder Bücher, verloren Zahnbürsten. Sie verlegten ein Bild, von einem berühmten lebenden Amerikaner, das Jessie ganz hinten in einem Schrank entdeckte. Dann beobachtete sie die Frau, wie sie ihren Mann anschaute, um seine Reaktion zu registrieren, und ihr wurde klar, dass sie ein Teil des Rituals geworden war, wo einer den anderen dabei beobachtete, den anderen zu beobachten.
Sie waren so normal, wie man nur sein konnte und dabei immer noch normal blieb, sagte sie. Ein bisschen normaler, und sie hätten gefährlich sein können.
Ich streckte die Hand aus und nahm die ihre, nicht ganz sicher, warum. Ich stellte sie mir gern mit diesen alten Menschen vor, drei Unschuldige, die stundenlang die Zimmer absuchen. Sie ließ mich gewähren, ließ sich nichts anmerken. Es gehörte zu ihrer Asymmetrie, die schlaffe Hand, das leere Gesicht, und es brachte mich nicht unbedingt auf den Gedanken, dass der Augenblick sich vielleicht ausdehnen ließe auf andere, intimere Gesten. Sie saß neben irgendwem, sprach durch mich hindurch zu der Frau im Sari im Bus quer durch die Stadt oder zu der Frau am Empfang beim Arzt.
Nichts davon hatte eine Bedeutung, als das Licht bei ihrem Vater anging. Ich wusste nicht, wie ich meine Hand von ihrer lösen sollte, ohne mir albern vorzukommen. Die Bewegung musste strategisch sein, nicht taktisch, kernig musste sie sein, und ich stand auf und trat ans Geländer, die Hand war nur eine zufällige Einzelheit. Er kam herausgeschlurft und ging an mir vorbei, der Pyjama roch alt, der Körper alt, das Schlafzimmer, die Laken, sein verlässlicher Gestank waberten hinter dem Mann her, bis er auf seinem Stuhl saß.
»Drink gefällig?«
»Scotch, pur«, sagte er.
Drinnen hörte ich, wie sich die Fliegentür öffnete und wieder schloss, und sah ihr nach, als sie das Wohnzimmer durchquerte und dann den Flur hinunterging, Abend vorbei, eines von hundert Malen, dass ich einen kurzen Blick auf sie erhaschte oder an ihr vorbeikam oder eintrat, als sie gerade hinausging, eine kleine Lebensspanne der Nichtbegegnungen, so wie mit einer Schwester zusammen aufzuwachsen, nur dass jetzt noch Störfunk dazukam, eine willkürliche Unruhe in der Luft.
Ich brachte seinen Scotch nach draußen auf die Terrasse, Wodka für mich, ein Eiswürfel, immense Nacht, Mond im Transit. Als sie ein Kind war, sagte er, und ich wartete, während er einen Schluck Scotch nahm. Musste sie sich am Arm oder im Gesicht berühren, um zu wissen, wer sie war. Kam selten vor, aber kam vor, sagte er. Dann legte sie die Hand aufs Gesicht. Das ist Jessica. Ihr Körper war nicht da,
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