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Der Omega-Punkt: Roman (German Edition)

Der Omega-Punkt: Roman (German Edition)

Titel: Der Omega-Punkt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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konnte. Und da lag sie, im Bett, aber ich brauchte einen Moment, bis mir klar wurde, dass sie mich ansah. Sie lag unter ihrem Laken und sah mich direkt an, und dann drehte sie sich auf die Seite, zur hinteren Wand, und zog das Laken bis zum Hals hoch.
    Noch ein Moment verging, dann schob ich die Tür leise wieder in ihre ursprüngliche Position zurück. Ich ging noch mal hinaus und stand eine Weile am Geländer. Dann stellte ich den Liegestuhl in die Liegeposition und legte mich flach auf den Rücken, mit geschlossenen Augen, die Hände auf der Brust, und versuchte, mich zu fühlen wie niemand nirgendwo, wie ein Schatten, der zur Nacht gehört.
    Elster fuhr in grimmigem Schweigen. Das war normal so. Selbst ohne Verkehr sammelten sich immer widerständige Kräfte an, je nach Tag und Zeit – die Straßenverhältnisse, drohender Regen, bevorstehendes Dunkelwerden, Leute im Auto, das Auto selbst. Das GP S war in Ordnung und forderte ihn zum Abbiegen auf, bestätigte die Einzelheiten früherer Erfahrung. Wenn Jessie mitfuhr, auf der Rückbank ausgestreckt, versuchte er ihr zuzuhören, egal, was sie gerade sagte, und vor lauter Anstrengung und angespannter Konzentration machte er am Steuer einen Buckel. Sie las gern Verkehrsschilder laut vor, Sperrgebiet, Springflutzone, Notrufsäule, Steinschlag auf den nächsten 6 Meilen. Diesmal fuhren wir allein, er und ich, in die Stadt, um unsere Lebensmittelvorräte aufzufüllen. Er wollte nicht, dass ich fuhr, er traute anderen Fahrern nicht, andere Fahrer waren nicht er.
    Im Supermarkt lief er an den Regalen entlang und suchte aus, was er kaufen wollte, warf es in einen Korb. Ich tat dasselbe, wir teilten uns den Laden auf, gingen zügig und effizient vor und begegneten uns ab und zu in den Gängen, wobei wir Augenkontakt vermieden.
    Auf der Rückfahrt stellte ich fest, dass mich die Teerschnörkel auf dem reparierten Straßenasphalt faszinierten. Ich starrte etwas benommen vor mich hin, und bald kamen mir sogar die Spritzer auf der Windschutzscheibe interessanter vor als der Asphalt. Wenn wir Offroad fuhren, auf Geröll, reduzierte er seine Geschwindigkeit drastisch, und das leichte Rumpeln ließ mich fast einschlafen. Ich fuhr nicht angeschnallt. Er sagte meistens »Anschnallen!«, wenn er den Wagen startete. Ich setzte mich gerade hin und ließ die Schultern rollen. Ich betrachtete das Schwarze unter meinen Fingernägeln. Die Anschnallen-Regel war für Jessie gedacht, aber sie gehorchte auch nicht immer. Wir fuhren an einem gewundenen Bachbett entlang, und ich hätte am liebsten ein paarmal aufs Armaturenbrett gehämmert wie auf eine Tom Tom, um meinen Kreislauf wieder in Gang zu bekommen. Aber ich schloss nur die Augen und saß da, nirgendwo, lauschend.
    Als wir zum Haus zurückkamen, war sie fort.
    Aus der Küche rief er sie. Dann sah er im ganzen Haus nach ihr. Ich wollte ihm sagen, sie sei bestimmt spazieren gegangen. Aber es hätte falsch geklungen. Das tat sie hier nicht.
    Sie hatte es nicht getan, seit sie hier war. Ich ließ die Einkäufe auf dem Küchentresen und ging nach draußen, um die unmittelbare Umgebung abzusuchen, trampelte durch dornige Büsche und duckte mich unter Mesquiteschlingen. Ich war mir nicht sicher, wonach ich Ausschau hielt. Mein Mietwagen stand, wo ich ihn stehen gelassen hatte. Ich überprüfte das Innere des Autos und versuchte dann, auf dem Sandweg zum Haus frische Reifenspuren zu entdecken, und später standen wir beide auf der Terrasse und starrten aufmerksam in die Stille.
    Es war schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Das Immense hier, all das leere Land. Sie tauchte immer wieder vor meinem inneren Auge auf, undeutlich, als hätte ich vergessen, etwas zu sagen oder zu tun.
    Wir gingen wieder ins Haus und schauten genauer nach, Zimmer um Zimmer, fanden ihren Koffer, durchwühlten ihren Schrank, zogen Schubladen im Schreibtisch auf. Wir sagten kaum etwas, spekulierten nicht über was oder wo. Elster sprach, aber nicht zu mir, ein verwirrtes Gemurmel über ihre Unberechenbarkeit. Ich ging über den Flur ins Bad, das sie und ich uns geteilt hatten. Der Kulturbeutel auf der Fensterbank. Kein Zettel an den Spiegel geklebt. Ich schob den Duschvorhang beiseite, geräuschvoller, als ich vorgehabt hatte.
    Dann fiel mir der Schuppen ein, dass wir den Schuppen vergessen hatten. Mich überkam eine seltsame hirnlose Euphorie. Ich sagte es Elster. Der Schuppen.
    Es war das erste Mal gewesen, dass wir ohne sie irgendwohin gefahren waren. Sie hatte

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