Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Opal

Der Opal

Titel: Der Opal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
Vom Netzwerk:
unterschiedlichen hellen Tönen eingefärbt; ein blasses Blau kam relativ häufig vor. Als sie noch näher herangekommen waren und Latil an der leuchtenden Scheibensäule nach oben und nach unten sehen konnte, erkannte sie, dass es sich nicht um vollständige Scheiben handelte, sondern dass sie aus lose miteinander verbundenen Segmenten bestanden, wie Blütenblätter einer gigantischen technischen Blume. Die Scheiben hatten einen Durchmesser von vielleicht zweihundert Metern. Als die Plattformen nahe genug herankamen, spürten alle die Windströmungen, die von den Scheiben aufgrund ihrer großen Masse erzeugt wurden, auch wenn sie sich nur relativ langsam drehten. Haku ließ die Plattformen an der Scheibensäule auf- und absteigen, bis er gefunden hatte, was er suchte. Diese eine bestimmte Scheibe unterschied sich von den anderen dadurch, dass ihre ganze blassblau eingefärbte Oberfläche von Kabeln oder Adern überzogen war. Was es war, konnte man nicht genau erkennen. Manche Schläuche sahen aus, als würden sie Blut oder andere Körperflüssigkeiten transportieren, andere, als enthielten sie Öl, Kupfer, Glasfasern, supraleitendes Kabelmaterial oder was auch immer, manche konnten von einem unbestimmt biotischen Aussehen zu einem unbestimmt technischen wechseln. Obwohl die blassblaue Haut der Scheibe durchsichtig war, konnte man aufgrund des Kabel- oder Adernsalats nicht sehen, was in der Scheibe vor sich ging.
    Haku betrachtete das Ganze eine Weile und sagte dann: »Anlegen.«
    Latil dachte eine Sekunde an den Verletzten, den sie nicht mehr hören konnte. Vielleicht ist er tot, dachte sie, aber dann übernahm das Adrenalin wieder die Kontrolle, und sie sah am Lauf ihrer Waffe entlang.
    »Ihr müsst möglichst alle auf einen Punkt treffen. Kümmert euch nicht um die Munition, wir haben genug davon. Alle auf einen Punkt! Feuer!«
    Nach ein, zwei Salven war die Trefferzone definiert, und mit verbissener Entschlossenheit entluden die Soldaten ihre Magazine auf die Haut der Scheibe. Die Adern wurden weggeblasen, zerstäubte Trümmerteile spritzten weit umher. Ein ohrenbetäubendes Staccato von Entladungen und Einschlägen. Die Haut war erstaunlich stabil. Sie glühte erst grün, dann gelb, dann weiß auf und brach selbst dann noch nicht ein. Latil musste den Verstärker wechseln, weil der erste leer war, und als die Energieanzeige für den zweiten schon auf Gelb stand, gab die Haut plötzlich mit einem dumpfen Prasseln nach, gerade so, als habe sie aus Glas bestanden. Die Öffnung driftete von ihnen weg, bewegte sich langsam, aber stetig aus dem Blickfeld, und es dauerte eine Weile, bis Latil begriff, dass die Plattformen drifteten und nicht die Öffnung. Die ganze Scheibe verlor an Schwung, verlor ihren Antrieb, seit die Soldaten ein Loch in sie hineingeschossen hatten, und als Haku die Plattformen wieder an die Öffnung herangebracht hatte, war sie fast stehen geblieben. Das Loch war kaum groß genug, um eine Plattform durchzulassen. Bei einem kurzen Blick nach unten sah Latil die Verstärker überall auf der Plattform herumliegen. Sie kickte einen von ihnen über den Rand, und er stürzte in die bodenlose Tiefe. Ihr Anzug war mit einem feinen Mehl, einer Art Asche bestäubt, die je nach Blickwinkel unterschiedliche Farben anzunehmen schien.
    »Vorwärts«, sagte Haku. »Wenn wir zu lange warten, wächst es wieder zu.«
    Als sie die Öffnung passierten, glühten die Ränder noch, und es knackte, weil abkühlendes Material sich wieder zusammenzog. Auf dem Boden hinter der Öffnung lagen schwarz verkohlte Splitter, die beim Bersten der Scheibenhaut nach innen gefallen waren. Dort drinnen war es still, nichts bewegte sich. Latil konnte Hakus Anspannung durch seinen und ihren Anzug hindurch spüren. Oder ist das meine?, dachte sie verwirrt. Haku war vorsichtig. Die ST hatte bis jetzt nicht wirklich Widerstand geleistet, sondern nur ein paar Mal die Muskeln spielen lassen, und das lag daran, dass er sie vernichten konnte. In dem Moment, in dem ihr alles egal wurde, waren sie tot.
    Die Wände waren mit Mustern verziert, die sie sehr an die tote Stadt erinnerten. Es dämmerte Latil, dass sie einen Plan dieser Stadt betrachtete. Den toten Plan einer toten Stadt. Möglicherweise war von hier aus früher alles gesteuert worden, was dort vor sich ging, aber das war passe. Der Gang machte einen Knick, hinter der Ecke erwartete sie eine Überraschung. Der Boden war übersät mit Leichen. Die Leichen trugen dieselben Anzüge wie

Weitere Kostenlose Bücher