Der Orden
Rom?«
Lou hatte das vorgeschlagen, aber ich war mir noch nicht sicher. »Ich weiß nicht. Ist vielleicht ganz schön viel Aufwand.«
»Für ein Projekt, das möglicherweise total durchgeknallt ist. Aber es ist vielleicht der einzige Weg, wie du die Sache aufklären kannst, wenn es dir Ernst damit ist.«
»Es ist mir Ernst. Glaube ich. Ich weiß es nicht.«
»Immer dasselbe mit dir. Du bist zwar ein sehr netter Kerl, George. Aber so verdammt unentschlossen. Wie ein Fähnchen im Wind.«
»Dann war es richtig, dass du mir den Laufpass gegeben hast«, sagte ich.
Wir gingen eine Weile schweigend weiter.
Tafel Nummer vier befand sich an der Rückseite eines Bürogebäudes – wir mussten so kühn sein, auf Privatgelände vorzudringen –, wo wir einen schräg gestellten Glasrahmen fanden, der wie ein niedriges Gewächshaus über einem Graben im Asphalt aufgebaut war. Ein Abschnitt der Mauer war freigelegt worden, sechs Meter tief unter dem Glas, durch das wir spähten. Den unteren Teil, das römische Stück, konnten wir nicht sehen, weil die Büroangestellten in ihrem Verlies dort unten Kisten und Aktenbündel daran aufgestapelt hatten.
Ich sprach es als Erster aus. »Okay, tut mir Leid. Aber ich weiß wirklich nicht so genau, ob ich im Augenblick Rat brauche. Mag schon sein, dass meine Familie ganz schön verkorkst war, aber ich kann die Vergangenheit nicht mehr ändern. Und jetzt ist sie weg – Gina ist ungefähr so weit geflohen wie sie konnte –, und ich habe nur noch…«
»Dieses lose Ende. Und du kannst der Versuchung nicht widerstehen, daran zu ziehen. Also, ich finde, du solltest hinfliegen. Sehen wir der Sache ins Auge. Der Tod eines Elternteils ist wohl so ziemlich der größte Verlust, den wir jemals erleiden werden. Ich finde, du solltest dir ein bisschen Zeit nehmen, um drüber hinwegzukommen. Und wenn diese Schwestergeschichte ein Vorwand dafür ist, okay. Flieg nach Rom. Hau ein paar Lire auf den Kopf.«
»Euro.«
»Was auch immer.«
»Ich war sicher, dass du versuchen würdest, mich davon abzuhalten.«
Sie seufzte. »Zuhören ist nur eine der Fähigkeiten, die du nie erworben, hast, George.« Sie berührte meine Hand; ihre Haut war warm und tröstlich. »Flieg hin. Wenn du irgendwas brauchst, ruf einfach an.«
»Danke.«
»Und jetzt lass uns diesen dämlichen Rundgang beenden.« Sie marschierte weiter.
Wir verließen den Bereich der City und gingen die Cooper’s Row entlang, unter den Eisenbahngleisen hindurch in das touristische Gebiet in der Nähe der Themse und des Towers. Wir durchquerten die Tower-Hill-Unterführung beim Eingang zur U-Bahn, sahen uns die Ruine eines robust wirkenden mittelalterlichen Tores an und gingen dann durch die U-Bahn dorthin zurück, wo in einem versunkenen Garten an der nordöstlichen Ecke der Unterführung die Statue eines Kaisers stand – und, ironischerweise, genau am Ende des Rundgangs der am besten erhaltene Mauerabschnitt, den wir an diesem ganzen Nachmittag gesehen hatten.
Wir setzten uns auf eine Bank und tranken unser Wasser.
»Noch ein Häkchen für dein kleines Buch«, sagte Linda nicht allzu unfreundlich.
»Jawohl.« Er war insgesamt zehn Meter hoch, der römische Teil selbst vielleicht drei Meter. Das römische Mauerwerk bestand aus ordentlichen Steinreihen mit roten Ziegeln dazwischen, die von meinem Elternhaus hätten stammen können. Die mittelalterliche Konstruktion darüber war viel gröber. »Wenn ich’s nicht besser wüsste, würde ich sagen, das römische Zeug sei viktorianisch oder später«, erklärte ich. »Es ist, als wäre die ganze Mauer auf den Kopf gestellt worden.«
Linda sagte: »Hier ist die Zivilisation wirklich zusammengebrochen, nicht?«
»Kann man wohl sagen.«
»Ich frage mich, ob sie hierher gekommen ist. Diese Urgroßmutter von dir. Regina.«
»Und ich frage mich, ob sie wusste, dass alles verschwinden würde, als ob jemand eine kleine Atombombe auf die Stadt abgeworfen hätte.«
Die dritte Stimme ließ uns beide zusammenzucken. Ich drehte mich um und sah eine massige Gestalt mit leicht schlurfendem Gang, in einen Mantel gehüllt, der noch schwerer aussah als mein Dufflecoat. Linda wich vor ihr zurück, und ich spürte, wie sich die zaghafte Stimmung zwischen uns verflüchtigte.
»Peter. Was machst du denn hier?«
Peter McLachlan kam um die Bank herum und setzte sich neben mich. »Du hast erwähnt, dass du den Rundgang machen wolltest.« Das hatte ich, in einer E-Mail. »Ich dachte mir, dass du hier
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