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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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unsere gemeinsamen Freunde vom Tod meines Vaters erfahren und wollte mich sehen. Wir hatten uns immer regelmäßig getroffen. Vermutlich akzeptierten wir beide, dass wir nach zehn Jahren Ehe, die nun in der unwiderruflichen Vergangenheit begraben waren, zu viel gemeinsam hatten, um die Bande jemals vollständig zu durchtrennen. Wir wechselten ein paar Mails und vereinbarten, uns auf neutralem Boden zu treffen.
    An nächsten Tag flog ich nach London zurück. Ich verließ Florida ohne Bedauern.
     
    Es war meine Idee gewesen, mich mit Linda im Museum of London zu treffen. Allmählich faszinierten mich die Geschichten von dem römisch-britischen Mädchen, Regina, das unserer dubiosen Familiensage zufolge angeblich aus der zusammengebrochenen Provinz Britannien quer durch Europa bis zur verblassenden Glorie Roms gereist war. Irgendwie schien sie oder zumindest ihre Legende eine zentrale Rolle bei dem zu spielen, was meiner Familie widerfahren war. Und wenn irgendetwas davon stimmte, hatte ihr Weg sie vielleicht auch nach London geführt – nach Londinium, wie die Römer es nannten. Doch wie der größte Teil der Londoner Nomadenbevölkerung hatte ich, wiewohl ich einen großen Teil meines Arbeitslebens in der City verbracht hatte, der Geschichte der Stadt bisher keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt. Ich war noch nicht einmal im Tower gewesen, obwohl er nur eine Viertelstunde von den Büros entfernt lag, in denen ich einmal gearbeitet hatte. Jedenfalls war dies nun eine Chance, mein Versäumnis zumindest ansatzweise zu korrigieren.
    Eine kurze Recherche im Internet ergab, dass die römische Stadt einst von einer Mauer umgeben gewesen war, die einen großen Teil der heutigen Londoner City – das Finanzzentrum – umfasst hatte, jedoch ohne das West End und alles östlich des Towers. Das Museum of London lag an einer Ecke der alten Mauer, oder vielmehr dort, wo sie früher einmal verlaufen war. Vielleicht würde ich hier ein paar Hinweise auf Regina finden.
    Und zweitausend Jahre Geschichte würden Linda und mich hoffentlich für ein paar Stunden so weit ablenken, dass wir uns nicht stritten.
    Wie sich herausstellte, befand sich das Museum gleich neben dem Barbican Centre, jener Betonwüste, die für Autos und nicht für Menschen konstruiert zu sein schien. Das Museum selbst lag auf einer Verkehrsinsel, die durch einen Graben tosenden Verkehrs abgeschnitten war. Es kam mir vor, als wäre ich zwei Kilometer gelaufen, ehe ich eine Treppe zu einem erhöhten Gehweg fand, der den Verkehrsstrom überquerte und in den Museumskomplex hineinführte. Ich war früh dran – ich bin immer eher zu früh als zu spät dran, im Gegensatz zu Linda –, und ich verbrachte die verbleibende Zeit damit, mir die mit Audiokommentar versehenen Ausstellungsobjekte und die maßstabsgetreuen Modelle des Museums anzuschauen, die Londiniums Aufstieg und Niedergang zeigten.
    Nach Cäsars erstem Streifzug hatte Kaiser Claudius, ausgerüstet mit Kriegselefanten, die eigentliche Eroberung Britanniens begonnen. Sechzig Jahre nach dem Tod Jesu Christi war Londinium zu einer Stadt von solcher Größe herangewachsen, dass Boudicca es für wert befand, sie niederzubrennen. Aber im fünften Jahrhundert, nachdem Britannien sich vom Imperium losgelöst hatte, ging Londinium zugrunde. Erst vierhundert Jahre später, in der Zeit Alfreds des Großen, sollte das römische Gebiet wieder besetzt werden. Ich sah mir die kleinen Modelle und Karten an und versuchte herauszufinden, um welche Zeit Regina durch Londinium gekommen sein musste, falls sie überhaupt jemals hier gewesen war. Ich wusste nicht genug, um das feststellen zu können.
    Ich kramte im Souvenirshop herum und kam mir dabei wie der einzige Erwachsene vor; die anderen Museumsbesucher waren ein paar skandinavische Touristinnen, alle mit langen Beinen, Rucksäcken und blonden Haaren, und ein Haufen Schulkinder von zwölf, dreizehn Jahren, die überall herumzuwimmeln schienen und an deren Benehmen das Geschrei und Gekläff ihrer Lehrer kaum etwas änderte. Schließlich fand ich einen schmalen Führer für den »Mauerspaziergang«, eine Tour entlang der ehemaligen römischen Mauer. Ich stellte mich in die Schlange an der Kasse, hinter eine Reihe von Schulkindern, die alle eine Süßigkeit, einen glitzernden Bleistiftspitzer oder ein »Arno Londinium«-Mousepad kauften. Ein alter Furz in einem Dufflecoat, übte ich mich zähneknirschend in Geduld und rief mir ins Gedächtnis, dass all dieser Schrott dazu beitrug,

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