Der Orden
landen würdest. Ich habe gewartet.«
»Wie lange?«
Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Nur rund drei Stunden.«
»Drei Stunden?«
Ich sah Lindas Miene. »Hör mal, George, es war nett, aber ich glaube…«
»Nein, warte. Tut mir Leid.« Ich stellte sie einander rasch vor. »Peter, warum wolltest du mich treffen?«
»Um dir zu danken. Und dir zu sagen, dass ich eine Weile weg sein werde. Ich fliege in die Staaten.«
»Besuchst du die Slan(t)er?« Linda lenkte erneut meine Aufmerksamkeit auf sich; ich schürzte die Lippen. Frag nicht.
»Ich verspüre das Bedürfnis, etwas nachzuholen. Die Batterien aufzuladen.«
»Womit?«
Er zuckte die Achseln. »Mit Energie. Mit Glauben. Deshalb möchte ich dir danken. Irgendwie hast du mich aus meinen eingefahrenen Gleisen geworfen. Diese rätselhafte Geschichte mit deiner Schwester. Schichten auf Schichten… Das und Kuiper, natürlich.« Er beugte sich vor und sah Linda um mich herum an. »Natürlich wissen Sie über die Kuiper-Anomalie Bescheid. Haben Sie die neuesten Entwicklungen verfolgt?« Er holte seinen Handheld hervor und tippte auf den winzigen Tasten herum. Websites blinkten über den juwelenartigen Bildschirm.
Linda zupfte mich am Ärmel. »Der Kerl hat nicht alle Tassen im Schrank«, flüsterte sie.
»Er ist ein alter Schulfreund. Er hat meinem Dad geholfen. Und…«
»Nun hör aber auf. Dein Dad ist unter der Erde. Er ist dir nach London gefolgt. Und all dieses unheimliche Zeug – was hat das mit dir und deiner Schwester zu tun?«
»Keine Ahnung.«
»Hör mal, George, ich habe meine Meinung geändert. Es ist, als ob die Menschen um dich herum Teile deiner Persönlichkeit wären. Deine Eltern waren der klettenartige, bedrückende, katholische Teil, und du musst weg von alledem, statt dich ihm hinzugeben. Und dieser Kerl, der ist wie dein…«
»Mein Schließmuskel.«
Dafür erntete ich ein unterdrücktes Lachen. »Geh wieder zur Arbeit, George. Oder streich dein Haus an. Lass die Erinnerungen ruhen. Und halt dich von diesem Typen fern, sonst endest du auch noch auf einer Parkbank und brabbelst irgendwelches Verschwörungszeugs vor dich hin.«
»Hier.« Peter hielt mir sein Handy vor die Nase; Daten und Diagramme flimmerten über das Display. »Der Kuiper-Gürtel ist ein Überbleibsel der Entstehung des Sonnensystems. Wir sehen ähnliche Gürtel um andere Sterne, zum Beispiel um die Wega. Die äußeren Planeten, wie Uranus und Neptun, sind durch Kollisionen von Objekten des Kuiper-Gürtels entstanden. Aber den besten Theorien zufolge hätten dort draußen viel mehr Objekte sein müssen – das Hundertfache der Masse, die wir jetzt sehen können, genug, um einen weiteren Neptun zu formen. Und wir wissen, dass ein solcher Schwarm sich rasch zu einem Planeten verdichten müsste.«
»Ich verstehe nicht. Peter, ich glaube…«
»Irgendwas hat den Kuiper-Gürtel gestört. Irgendwas hat diese Eiskugeln ungefähr zu der Zeit durcheinander gewirbelt, als der Pluto entstanden ist – und damit die Entstehung eines weiteren Neptuns verhindert. Seither sind die Kuiper-Objekte durch Kollisionen zerbrochen oder aus dem Gürtel herausgedriftet.«
»Wann fand diese Störung statt?«
»Das muss so um die Zeit gewesen sein, als die Planeten entstanden. Vielleicht vor viereinhalb Milliarden Jahren.« Er sah mich mit glänzenden Augen an. »Verstehst du? Schichten von Eingriffen. Die Anomalie, die Explosionen im galaktischen Kern, jetzt dieses Herumgepfusche bei der Entstehung des Sonnensystems. Das werden wir untersuchen.«
»Wir?«
»Die Slan(t)er, in den Staaten. Du hast doch meine E-Mails gelesen.«
»Ja…« Ich drehte mich um. Linda war fort. Ich stand auf und hielt Ausschau nach ihr, aber da die Stoßzeit nahte, ergossen sich bereits dichte Menschenmengen in die U-Bahn.
Peter war immer noch voll in Fahrt, er saß auf der Bank, redete wie aus einem inneren Zwang heraus und holte eine Seite mit Daten nach der anderen auf den Bildschirm. Er hockte vornübergebeugt da, in angespannter Haltung.
Wie ich so dastand, konnte ich entweder Linda nachlaufen oder bei Peter bleiben. Ich spürte, wie ich irgendwie eine Entscheidung traf, die vielleicht mein ganzes restliches Leben beeinflussen würde.
Ich setzte mich. »Zeig’s mir noch mal«, sagte ich.
ZWEITER TEIL
17
Für Lucia hatte es elf Monate vor dem Tod von George Pooles Vater begonnen. Und es begann nicht mit einem Tod, sondern mit Lebenszeichen.
Es geschah nachts, nur ein
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