Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
trugen. Nach dem Aufwachen nahm Regina Tag für Tag ein primitives Frühstück aus gesalzenem Fleisch zu sich. Ihre Knochen waren immer steif, und sie fror trotz der milden Sommernächte.
    Irgendwann erkannte sie die Landschaft jedoch wieder. Es war ein Land voller grüner, runder Hügel – eine dem menschlichen Auge schmeichelnde Landschaft, ganz anders als die Einöden des Grenzlands in der Umgebung des Walls.
    Ihre geografischen Kenntnisse waren nach wie vor skizzenhaft und gingen kaum über Aetius’ in den Schmutz gezeichnete Landkarte hinaus. Aber dies, so stellte sie allmählich fest, war ihre Heimat. Von den Winden des Schicksals getragen, war sie in einem großen Kreis gesegelt und zu ihrem Ausgangspunkt zurückgekehrt. Aber sie hatte keine Ahnung, wo genau die Villa ihrer Familie lag: Schließlich war sie mit sieben Jahren von dort weggegangen, und es lebte niemand mehr, der es wissen mochte, weder Carta noch Aetius. Vielleicht war es auch besser so; sie hätte es nicht ertragen, die Villa in Trümmern zu sehen.
    Und es gab Veränderungen. Selbst hier wirkte das Land alles andere als freundlich: Auf jeder Hügelkuppe ragten Mauern empor, und der Rauch von Feuern kräuselte sich in der Luft. Das Land starrte inzwischen von Verteidigungsanlagen wie ein Igel von Stacheln.
    Artorius’ geplante neue Hauptstadt war eine Festung, die auf einem Hügel errichtet worden war – ein »Dunon«, wie er sie in der alten Sprache nannte. Er hatte bereits eine Gemeinschaft von mehreren hundert Menschen aus dem ganzen Land um sich gesammelt, und es herrschte rege Betriebsamkeit. Regina wusste nicht, wie der Hügel zur Zeit der Römer geheißen haben mochte; er schien keinen lateinischen Namen zu besitzen. Einige der Einheimischen nannten ihn jedoch nach einem nahe gelegenen Strom. Es war der Caml-Hügel oder das Caml-Fort.
     
    An ihrem ersten ganzen Tag im Dunon wurden Reginas Leute dazu eingeteilt, Steine aus einem so genannten »Steinbruch« zu holen. Artorius erklärte Regina, dass er ihr diese Plackerei gern ersparen wolle. Sie habe mit ihrem Trotz einen guten Eindruck auf ihn gemacht, und sie könne hier bei ihm in seiner Hauptstadt bleiben; vielleicht fände er eine andere Aufgabe für sie.
    Brica riet ihr, das Angebot anzunehmen. »Er scheint dich zu mögen, Mutter, Jove weiß, warum. Du musst das nach Kräften ausnutzen.«
    »Oh, das werde ich«, sagte Regina. Und das würde sie auch. Seit Bricas Geburt war sie stets entschlossen gewesen, alles Erforderliche zu tun, um das Überleben ihrer Familie zu gewährleisten. Dennoch lehnte sie Artorius’ Angebot ab; sie war noch nicht bereit, sich von den Menschen trennen zu lassen, mit denen sie zwei Jahrzehnte auf dem Hügelhof verbracht hatte.
    Also marschierten sie in einer Gruppe von ungefähr dreißig Personen unter dem Befehl eines Leutnants von Artorius’ Truppe hinaus. Es waren zwei Tagesmärsche nach Süden, und sie mussten eine weitere Nacht im Freien verbringen.
    Gegen Mittag des zweiten Tages näherten sie sich einer Stadtmauer, die bei Regina weitere Erinnerungen aus ihrer Kindheit wachrief: Dies musste Durnovaria sein, das Zentrum der örtlichen Bürgergesellschaft. Ihren Kinderaugen war es als ein magischer Ort erschienen, sauber und hell, umgeben von mächtigen Mauern und voller gewaltiger, für Riesen gemachter Gebäude. Doch jetzt war die Stadt seit über zwanzig Jahren verlassen. Die Mauer war ihrer Ziegel beraubt, sodass der Kern aus gemörteltem Schutt und roten Bindesteinen freilag. Wo die Straße durch die Mauer führte, war einst ein mehrfacher, überwölbter Torweg gewesen, doch nun waren die Bogen eingestürzt.
    Hinter der Mauer war alles mit einer grünen Decke überzogen. Von den meisten Gebäuden waren nur Schutthaufen übrig, die in der Vegetation verschwanden. Es gab viele Anzeichen für Brände – vielleicht das zufällige Ergebnis von Blitzschlägen in längst leer stehende, mit welkem Laub gefüllte Gebäude. Ihre Fundamente waren von einer Schicht dunkler, unkrautüberwucherter Erde bedeckt, den Überresten eingestürzter Mauern aus Flechtwerk und Lehm, die nun völlig überwachsen waren. Ein paar der monumentalen Steinbauten hatten überdauert; sie wirkten immer noch ungeheuer mächtig, waren aber zerstörte, ausgebrannte, von Kletterpflanzen überrankte Riesen ohne Dach, in deren rissigen Mauern Büsche und Efeu wuchsen. Selbst der harte Straßenbelag war von einem Mulch aus verrottetem Unkraut und welkem Laub überzogen, und die

Weitere Kostenlose Bücher