Der Orden
macht sie für uns.«
»Er ist nicht so übel«, erwiderte Brica.
Regina las die Inschrift auf einem weiteren Grabstein. »›Unserem liebsten Kind, nicht weniger jählings aus dem Leben gerissen als die Gemahlin von Dis.‹«
»Was bedeutet das?«
Regina legte die Stirn in Falten und versuchte, sich an ihren Unterricht bei Aetius zu erinnern. »Ich glaube, das ist nach einem Zitat von Vergil.« Aber der Name des Dichters sagte Brica nichts, und Regina ließ es dabei bewenden.
Einige der Gräber hatten offenkundig einmal Holzsärge enthalten, die inzwischen längst verrottet waren, sodass nur noch verstreute Knochen darin lagen. Aber in einigen der imposanteren Grabmale hatte man mit Blei ausgekleidete Steinsärge verwendet. Diese wurden aus dem Boden gewuchtet und ohne viel Federlesens geöffnet, um das Blei zu bergen; den grausigen Inhalt warf man wieder in das gähnende Loch. Hin und wieder fanden sich Grabbeigaben: Schmuckstücke, Parfümflaschen, sogar Werkzeug – und, in einem kleinen und Mitleid erregenden Grab, eine Holzpuppe. Die Arbeiter holten die Sachen heraus, begutachteten sie kurz und steckten sie ein, wenn es den Anschein hatte, als wären sie etwas wert. Der Gestank hielt sich in Grenzen; man roch hauptsächlich die feuchte, offene Erde. Die Leichen waren mindestens schon seit Jahrzehnten tot, und die Würmer hatten ihr Werk bereits getan – außer bei jenen Leichen, die aus den robusteren Bleisärgen gekippt worden waren. Am Ende des Tages luden sie die zerbrochenen Grabsteine in Karren oder packten sie sich auf den Rücken, um sie zu Artorius’ Hauptstadt zu transportieren.
Nach ihrer Rückkehr zum Dunon kam Artorius erneut zu Regina. Er bestand darauf, dass sie keinen weiteren Tag in dem grausigen Friedhofs-Steinbruch verbrachte, sondern mit ihm kam, um seine im Entstehen begriffene Hauptstadt zu besichtigen.
»Ich weiß deine Meinung zu schätzen«, sagte er mit einem selbstbewussten, entwaffnenden Grinsen. »Verstand und Geist sind allzu selten in diesen traurigen Zeiten. Du bist zu schade dafür, Knochen auszugraben.«
»Ich bin kein Soldat.«
»Ich habe jede Menge Soldaten, die alle darauf trainiert sind, mir zu sagen, was ich hören will. Aber du hast keine Angst vor mir, wie ich sehr wohl weiß. Vor allem aber weiß ich, dass du eine Überlebenskünstlerin bist. Und ums Überleben geht es mir: Es ist mein oberstes Ziel.«
Also stimmte sie zu. Schließlich hatte sie kaum eine andere Wahl.
Sie machten einen Rundgang durch das Dunon. Der Hügel hatte eine flache Kuppe; er war ein Stück Landschaft. Im Osten lag ein hoher Kamm, aber von den oberen Hängen des Hügels aus hatte man einen weiten Blick über die Ebene im Westen.
Das Plateau selbst stieg zu einem Gipfel an, auf dem ein Signalfeuer errichtet worden war. Ein Teil des ebeneren Geländes wurde landwirtschaftlich genutzt, aber hier oben gab es nur wenig Ackerland. Artorius’ Hauptstadt würde von Gehöften auf der Ebene außerhalb der Festung ernährt werden müssen; dafür dürften die Bauern in Zeiten der Gefahr hinter den Mauern Schutz suchen. Auf einem tiefer gelegenen Teil des Plateaus wurde eine hölzerne Halle erbaut, in der Artorius selbst wohnen würde. Die ausgebrannten Überreste eines viel älteren Bauwerks – vielleicht das Heim eines Stammesoberhaupts aus vorrömischer Zeit – waren weggeräumt worden.
Sie gingen um das Plateau herum. Am Rand wurde eine Mauer errichtet – oder vielmehr auf den Fundamenten einer alten Vorgängerin wieder errichtet, wie Regina sah. Sie würde fünf Schritte dick sein, ein Gerüst aus Holzbalken, gefüllt mit Steinen, die zumeist aus dem Friedhof von Durnovaria stammten. Das Holzgerüst umgab bereits den größten Teil des Plateaus, und die Arbeit an einem mächtigen Tor in der südwestlichen Ecke hatte begonnen. Die Ausmaße des Projekts und die Effizienz von Artorius’ Befehlsgewalt beeindruckten Regina.
»Du gebietest über die Arbeit hunderter Menschen.«
Artorius zuckte die Achseln. »Es heißt, die Kaiser hätten früher einmal über hundert Millionen geboten. Aber man muss ja irgendwo anfangen.«
Es hatte geregnet, und die grasbewachsenen Flanken des Hügels waren leuchtend grün. Mehrere Reihen von Erdwällen und Gräben zogen sich über sie hin. Männer arbeiteten sich auf den bewaldeten Erdwällen voran, fällten die Bäume mit ihren eisernen Äxten und Sägen und schleiften die Stämme zur Hügelkuppe herauf.
Sie verwandelten die Ringgräben in eine
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