Der Orden
Verwaltungsstruktur – unsichtbar, aber so stark wie diese Mauern aus Holz und Stein. So werde ich die Gehöfte beispielsweise an die Zentralgewalt binden, indem ich ihnen Vieh leihe. Vielleicht können andere Steuern erhoben werden.«
»›Die Zentralgewalt‹. Du meinst dich.«
Er schüttelte den Kopf. »Sobald es möglich ist, werde ich mich als Magistrat zur Wahl stellen.« Er gebrauchte das lateinische Wort, duumvirs. Sie brach in schallendes Gelächter aus, aber er blieb dabei: »Ich meine es ernst. Ich sage dir, ich bin kein Kriegsherr, Regina – und wenn doch, dann nicht für immer.
Mit der Ordnung wird der Wohlstand kommen. Wir müssen Tonwaren herstellen – ein oder zwei anständige Brennöfen. Und Münzen. Ich werde eine Münzanstalt einrichten. Ich habe auch schon die ersten Schritte zur Gründung einer Eisenhütte unternommen. Sie wird von meinem guten Freund Myrddin geleitet – du musst ihn unbedingt kennen lernen –, einem bärbeißigen alten Possenreißer, der jedoch über das alte Wissen verfügt, das westlich von hier, außerhalb des Einflussbereichs der Römer, erhalten geblieben ist. Ein fabelhafter Mann, so kenntnisreich, dass manche ihn einen Zauberer nennen. Ich möchte, dass er sein Wissen weitergibt, bevor er stirbt.«
»Und dein drittes Ziel?«
»Die Diözese Britannien, oder so viel davon, wie ich beherrsche, dem Kaiser zurückzugeben. Nur auf diese Weise kann die fernste Zukunft gesichert werden. Und wenn ich dazu nach Gallien gehen muss – ich werde es tun.«
»Wie löblich«, sagte sie trocken. »Aber du hast dich dafür entschieden, hierher zu kommen und diese jahrhundertealte Festung wieder in Beschlag zu nehmen, statt beispielsweise nach Durnovaria zu gehen.«
»Die Stadt ist tot. Ihre Mauern – selbst wenn man sie wieder aufbauen würde – sind schwach, ihre Abzugsrinnen und Wasserleitungen verstopft, und das System, auf dem sie gegründet war, ist verschwunden. Ich meine das Geld, den Warenstrom. Wir können keine Eisenwaren aus Germanien oder Tonwaren aus Spanien mehr kaufen, Regina. Wir müssen so leben wie unsere Vorfahren.«
»Und deshalb geben wir die römischen Städte und Villen auf und kehren zur alten Lebensweise, zu den Erdwällen unserer Vorfahren zurück. Wie seltsam. Wie… wehmütig. Weißt du, schon seit meiner Kindheit falle ich Stück für Stück aus dem Licht in die Dunkelheit dieser neuen, trostlosen Zeit, in der ich nichts mehr wiedererkenne.«
Er musterte sie. Seine dunklen Augen waren ernst. »Ich verstehe dich, weißt du«, sagte er sanft. »Ich bin kein ungebildeter Wilder. Ich will dasselbe wie du. Ordnung, Wohlstand, Frieden. Aber ich finde mich damit ab, dass die Zeiten so sind, wie sie sind; ich finde mich mit den Dingen ab, die ich tun muss, um meine Ziele zu erreichen. So, nun habe ich dir von meinen Träumen und Bestrebungen erzählt. Jetzt sag mir, was du denkst, Regina – sag mir, wie du über mich denkst.«
Sie überlegte sorgfältig. Wenn jemand die Ordnung in diesem chaotischen, vom Zusammenbruch gezeichneten Land wieder herstellen konnte, dann war es gewiss Artorius – ein Mann voller Träume, aber offenbar auch ein Mann mit der Macht und dem Realitätssinn, diese Träume wahr zu machen. Für einen Augenblick kam es ihr dort auf dem betriebsamen Plateau so vor, als hätte sie in diesem Mann, diesem Artorius, einen Felsen gefunden, auf dem sie endlich eine sichere Zukunft für sich und ihre Familie errichten konnte – als käme vielleicht eine Zeit, in der sie sich ausruhen konnte.
»Ich verspüre – Hoffnung.« Und das tat sie, wenn auch nur zaghaft.
Er schien bewegt zu sein; anscheinend war ihm ihre gute Meinung wirklich wichtig. Er ergriff ihre Hand; die seine war trocken und warm. »Arbeite mit mir zusammen, Regina. Ich brauche deine Kraft.«
Doch in diesem Moment ertönte ein Ruf vom Fuß des Hügels, wo die Männer die verstopften Verteidigungsgräben aushoben. »Riothamus! Das musst du dir anschauen, Herr…«
Artorius stieg rasch den Zickzackpfad zum Boden des Grabens hinunter.
Die Männer waren auf eine Ansammlung von Knochen gestoßen. Viele waren zerbrochen, einige verkohlt. Die Männer sichteten diesen unwillkommenen Schatz sorgfältig. Es waren eine Menge Schädel darunter – bestimmt mehr als hundert.
Als Artorius herauskletterte, lag eine bisher unbekannte Härte in seinem Gesicht. In einer Hand hielt er den Schädel eines Kindes, in der anderen eine Hand voll Münzen, nichts weiter als Metallscheibchen,
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