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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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einer seiner Offiziere von einem sächsischen Räubertrupp erbeutet hatte. Obwohl Regina viel Zeit mit ihm verbrachte, in der sie praktische Fragen erörterten, hörte sie ihn nie wieder vom Aufbau einer Münzanstalt oder seiner Kandidatur als Magistrat sprechen.
    Wenn Regina später zurückdachte, schien es ihr, als wäre der Vorfall mit dem Massengrab ein Wendepunkt für Artorius gewesen: Danach kam etwas Hartes, Kaltes und Altes in ihm zum Vorschein, das allmählich vorherrschend wurde. Vielleicht lag es aber auch nur an der Atmosphäre der uralten Festung, die sie nun wieder bewohnten, an ihrer Rückkehr zu diesem alten Ort der Erde und des Blutes, als wäre das Zeitalter des römischen Friedens nichts als ein glitzernder Traum gewesen.
    Nach jenem Tag hatte er jedenfalls nie wieder davon gesprochen, sein Land den Kaisern zu übergeben.
    Doch all das spielte keine Rolle, sagte sie sich, solange sie und Brica in Sicherheit waren. Die Familie: Das war das Einzige, was für sie zählte. Jede Nacht, wenn sie sich in einem Winkel des Rundhauses auf dem Hügel schlafen legte, das sie zusammen mit Brica und mehreren anderen älteren Frauen bewohnte, sah sie ihre matres an, die sie all diese Jahre hindurch sorgfältig aufbewahrt hatte, die drei abgenutzten kleinen Statuen, die vielleicht sogar noch älter waren als diese übereinander geschichtete Festung, und sprach eine Art Gebet zu ihnen; nicht damit sie ihr Leben schützten – dafür war sie selbst verantwortlich, das wusste sie –, sondern damit sie ihr den Weg wiesen.
     
    Am Abend des Samhain war es zum ersten Mal herbstlich, dachte Regina. Ein Hauch von Frost lag in der Luft, und alles war erfüllt vom rauchigen Geruch welkender Blätter. Während sie sich bereit machte, Artorius’ Halle zu betreten, verweilte sie noch ein wenig im Freien und verspürte ein seltsames Bedauern, den letzten Rest des Tageslichts hinter sich zu lassen – den letzten Rest eines weiteren Sommers, ihres einundvierzigsten. Aber es war Artorius’ Fest, und sie hatte keine Zeit für solche Grübeleien. Mit einem Seufzen betrat sie die riesige Halle.
    Die Halle war bereits voll, die Fackeln aus Heu und Schafsfett an den Wänden brannten hell, und Regina wurde von Wärme und Licht, Rauch und Lärm bombardiert.
    Obwohl es auch jetzt noch viel daran zu tun gab, musste sie gestehen, dass es eine prachtvolle Halle war. Das zentrale Element war eine Feuerstelle, eine kreisrunde Fläche aus irgendwoher beschafften römischen Steinen, auf der ein riesiges Feuer brannte. Das Feuer füllte den einzigen, gewaltigen Raum der Halle mit Licht und Wärme und legte einen Rauchschleier über die geräuschvolle Versammlung. An einem doppelt mannshohen eisernen Dreibein hing ein Kessel, und die kräftigen Gerüche eines Eintopfs stiegen ihr in die Nase -Schweinefleisch und Lamm, gewürzt mit Bärlauch, dem Duft nach zu urteilen.
    Artorius’ Männer standen bereits Schlange, um sich ihre Portion Fleisch zu holen. Artorius bediente sie persönlich; mit Eisenhaken zog er Fleischstücke aus der simmernden Brühe. Seine Untergebenen rangelten in einem fort um die günstigsten Plätze, und Artorius fischte auf alles andere als subtile Art die besten Fleischstücke heraus, um seine Lieblinge zu belohnen. Ungeschickt holte er eine Portion heraus, ließ das Fleisch auf den Boden fallen, und zwei seiner Soldaten gerieten sich darüber in die Haare, für wen es gedacht gewesen war. Die anderen versuchten nicht, sie zu trennen, sondern versammelten sich um sie und feuerten sie mit lautem Geschrei an.
    Der alte Carausias saß neben Regina.
    »Was für ein Schauspiel«, sagte sie. »Erwachsene Männer, die sich um Fleischstücke balgen.«
    Er schüttelte den Kopf. »Mit solchen Kämpfen erobern sich seine Leutnants ihren Status – wer näher an der Sonne ist.«
    »Wie unzivilisiert.«
    Carausias zuckte die Achseln. »Schade, dass dein Großvater nicht hier ist. Die Legionäre in ihren Kasernen haben sich bestimmt ganz ähnlich benommen. Jedenfalls ist es ihr Abend, nicht unserer.«
    Als die Soldaten versorgt waren, durften sich die anderen Männer und die Frauen dem Kessel nähern. Regina selbst nahm nur ein bisschen Suppe und nippte an ihrem Becher mit Weizenbier.
    Als Artorius seinen Platz auf dem Boden mitten im Kreis seiner Männer eingenommen hatte, begann das Geschichtenerzählen. Ein Soldat nach dem anderen erhob sich – meist schwankend – und prahlte damit, wie er oder vielleicht ein toter Kamerad zwei,

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