Der Orden
drei oder fünf wilde Sachsen besiegt hatte, die allesamt größer als normale Sterbliche und mit jeweils drei Schwertern ausgerüstet gewesen waren. Alle tranken ununterbrochen, anfangs aus einem gemeinsamen Pokal, der von einem Diener gereicht wurde, der rechts um den Kreis herumging, und dann, als der Abend immer lauter und lärmender wurde, aus ihren eigenen Trinkgefäßen. Es war eine heldenhafte Arbeit für die kleine Gemeinschaft gewesen, die riesigen Bottiche mit Weizenbier zu brauen, die in dieser Nacht leer getrunken werden würden.
Dann stand der Eisenmacher Myrddin auf und hob mit einer langen und komplizierten Geschichte über Riesen an, die auf Zauberinseln jenseits des Meeres lebten, weit westlich von Britannien:
»Dreimal fünfzig ferne Inseln
liegen westlich von uns im Meer
jede von ihnen doppelt oder gar
dreimal so groß wie Irland…«
»Ganz recht, ganz recht«, murmelte Carausias. Er rülpste, und Regina merkte, dass er fast ebenso betrunken war wie Artorius’ Soldaten.
Während das Bier weiterhin in Strömen floss, wurden die Gespräche und Balgereien rauer, und einige der Soldaten und der jüngeren Männer fingen an, halb im Spaß miteinander zu kämpfen und zu ringen. Regina blieb stoisch in ihrer Ecke neben dem dösenden Carausias sitzen und fragte sich, wie lange sie das noch ertragen konnte.
Sie spürte eine Berührung an der Schulter. Überrascht blickte sie auf.
Artorius stand neben ihr. Sie roch das Bier in seinem Atem, aber im Gegensatz zu seinen Männern war er nicht betrunken. »Du bist so still«, sagte er.
»Du solltest wieder zu deinen Männern gehen.«
Lächelnd schaute er sich zu ihnen um. »Ich glaube nicht, dass sie mich heute Nacht noch brauchen. Aber du… ich weiß, was dir durch den Kopf geht.«
»So?«
»Du denkst an deine Mutter. An die Feste, die sie in der Villa gefeiert hat. Das glanzvolle Volk, das dorthin kam, die kostspieligen Vorbereitungen, die sie traf. So viel hast du mir erzählt. Und jetzt musst du dich mit dem hier abfinden.«
»Ich habe nicht die Absicht, ein Urteil zu fällen.«
Er schüttelte den Kopf. »Wir sind alle Gefangene unserer Vergangenheit. Aber die Gegenwart ist das Einzige, was wir haben. Die Männer, die dort um ihr Bier ringen, sind so rau wie Sand – aber sie werden ihr Leben für mich geben, und auch für dich. Wir müssen das Beste aus den Zeiten machen, in denen wir leben, aus dem, was wir haben, aus den Menschen um uns herum.«
»Du bist sehr klug.«
Er lachte. »Nein. Nur ein Überlebenskünstler, so wie du.« Mit merkwürdiger Sanftheit nahm er ihre Hand. »Hör zu«, sagte er eindringlich. »Dieser alte Narr Myrddin ist voller Legenden… Er meint, ich muss der Dagda für diese Leute werden.«
»Der Dagda?«
»Der gute Gott – aber der niedrigste der Götter. ›Was ihr versprecht, kann ich auch alles allein…‹ Aber der Dagda braucht eine Morrigan, seine Großkönigin. Und am Samhain«, flüsterte er, »der Zeit der Versöhnung, kommen der Gott des Stammes und die Göttin der Erde zusammen, damit die widerstreitenden Kräfte von Leben und Tod, Dunkelheit und Licht, Gut und Böse wieder im Gleichgewicht sind.«
»Worauf willst du hinaus, Artorius?… Wir streiten uns, du und ich. Wir leben in beständigem Konflikt.«
»Aber das Leben selbst resultiert aus dem Wechselspiel widerstreitender Kräfte. Darum geht es ja gerade.«
»Du törichter Mann. Ich bin alt und alles andere als eine Göttin. Such dir eine jüngere Frau.«
»Aber keine von ihnen hat deine Kraft – nicht einmal deine Tochter, so schön sie ist. Du, du bist meine Morrigan, meine Regina, meine Königin.« Er legte ihr die Hand um die Wange und beugte sich nah zu ihr. Sein Atem roch nach Fleisch und Bier, seine Augen leuchteten.
Sie schaute in ihr Herz. Dort war keine Zuneigung, nicht einmal Lust. Dort war nur Berechnung: Wenn ich das mache, wird es meine Chancen verbessern, Brica einen weiteren Tag am Leben zu erhalten? Nur Berechnung – aber das reichte.
Sie stand auf und ließ sich von ihm aus der Halle führen. Als sie noch einmal zurückblickte, stellte sie fest, dass Carausias ihr nachsah. Seine Augen waren wässrig, spiegelten aber ihre eigene Kälte.
19
Auf dem Weg nach oben passierte der Fahrstuhl die ineinander verschachtelten Ebenen der Krypta und setzte Lucia und Rosa Poole in einem kleinen Empfangsbüro ab. Rosa nickte dem Personal zu. Sie traten auf die Straße und kamen in dünnes Novembersonnenlicht hinaus.
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