Der Orden
Möbeln – Tische, Stühle und Sofas. Die Möbel sahen aus, als stammten sie aus mehreren Epochen, vielleicht bis zurück ins achtzehnte Jahrhundert, aber es gab einen Breitbildfernseher in einem großen Walnussschrank. Die Möbel wiesen deutliche Benutzungsspuren auf: abgewetzte Stellen in den Sitzbezügen, Schrammen in den Tischplatten, ja sogar Abnutzungserscheinungen an den Marmorfliesen am Boden. Uhren, deren Zifferblätter von der Patina der Zeit verdunkelt waren, tickten geduldig. Der Eindruck von Alter war stärker als in jedem anderen Raum in der Krypta, den Lucia jemals besucht hatte.
Und es lag ein sehr spezieller Geruch in der Luft – sauer, stark, ganz anders als der antiseptische Krankenhausgeruch des Korridors –, etwas Warmes, Animalisches, merkwürdig Beunruhigendes.
Das größte Möbelstück – ein Bett oder ein Sofa – stand in der Mitte des Raumes. Jemand lag darauf, eine reglose, zerbrechlich wirkende Gestalt, die ein Buch las. Es war noch eine zweite Person im Raum, eine junge Frau, die geduldig in einem großen, abgewetzten Armsessel saß und stumm die liegende Frau beobachtete.
Rosa nickte der Betreuerin lächelnd zu. Dann trat sie vor, und Lucia folgte ihr. Auf dem Marmor klangen ihre Schritte hart und laut, aber als sie sich dem Bett näherten, erreichten sie einen dicken Teppich, der das Geräusch dämpfte.
An der Rückwand hing ein großes Gemälde, wie Lucia nun sah. Es zeigte eine melodramatische Szene: Frauen mit zerrissenen Kleidern standen in einer Reihe vor einer Meute marodierender Männer. Die Frauen waren verletzt und schutzlos, und es bestand kein Zweifel, was die Männer vorhatten. Aber die Frauen wollten nicht weichen. Das Bild trug die Unterschrift »1527 – Sacco di Roma«, die Plünderung Roms.
Die Frau auf dem Bett blickte nicht von ihrem Buch auf. Sie war sehr alt, stellte Lucia fest. Ihr Gesicht sah aus, als wäre es ausgedörrt und eingeschrumpelt wie eine sonnengetrocknete Tomate; ihre Haut war lederartig und von Leberflecken übersät. Strähnen grauen Haares verteilten sich auf dem Kissen hinter ihrem Kopf. Aus einem Plastikbeutel an einem Metallständer neben ihrem Bett lief eine helle Flüssigkeit in ihren Arm.
Über ihren Beinen lag eine Decke, und sie trug eine schwere, warm aussehende Bettjacke, obwohl Lucia das Gefühl hatte, dass es in dem Raum heiß war.
Dies war also Maria Ludovica, eine der legendären matres. Sie sah schrecklich aus, schrecklich alt, müde und krank – and dennoch war sie schwanger, die Wölbung ihres Bauches unter der Decke war unverkennbar.
Der Gestank war hier sehr stark, ein Gestank wie von Urin. Lucia fühlte sich gleichzeitig angezogen und abgestoßen.
Rosa beugte sich vor und sagte leise: »Mamma – Mamma.«
Maria blickte trübe auf. Ihre Augen waren wässrige graue Kieselsteine. »Was ist, was ist? Wer ist da? Ach, du bist es, Rosa Poole.« Sie schaute gereizt auf ihr Buch hinunter, versuchte sich zu konzentrieren und schloss es dann mit einem Seufzen. »Ach, egal. Ich dachte immer, im Alter würde ich wenigstens Zeit zum Lesen haben. Aber wenn ich unten auf der Seite angekommen bin, habe ich schon vergessen, was oben stand…« Sie grinste Lucia anzüglich an und zeigte einen zahnlosen Mund. »Was für eine Ironie – hm? Also, Rosa Poole, wen hast du mir da mitgebracht? Eine von meinen?«
»Eine von deinen, Mamma. Das ist Lucia. Fünfzehn Jahre alt.«
»Und du hast deine Menarche bekommen.« Maria streckte eine klauenartige Hand aus; nicht unfreundlich drückte sie Lucias Brust. Lucia zwang sich, nicht zurückzuzucken. »Tja, vielleicht klappt es mit ihr. Ist sie dein Champion, Rosa?«
»Du solltest nicht so reden, Mamma.«
Maria zwinkerte Lucia zu – ein schrecklicher Anblick. »Ich bin zu alt, um nicht die Wahrheit zu sagen. Zu alt, zu krank und zu müde. Und das gefällt Rosa nicht. Tja, ich habe dich auf die Palme gebracht – stimmt’s? Wenigstens das kann ich noch. Genauso ist es, kurz bevor ich werfe. Ich sehe, wie es sie aufregt, all diese schmalen, brettflachen Schwestern. Ihre kleinen Brustwarzen schmerzen, und ihre trockenen Bäuche verkrampfen sich – hab ich nicht Recht, Cecilia?« Sie schleuderte die Frage ihrer geduldigen Betreuerin entgegen, die lediglich lächelte. »Also, ich bin wieder schwanger – und ich liege im Sterben, und das hat sie in noch größere Aufregung versetzt. Nicht wahr, Rosa Poole?« Maria lachte gackernd. »Bei Gott, ich fühle mich wie der Papst. Weißer Rauch,
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