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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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Jahren in der Hügelfestung hatte sie gelernt, dass man sich am besten an geregelte Gewohnheiten hielt. Deshalb ging sie an diesem Morgen als Erstes in ihr kleines Zimmer im hinteren Teil von Artorius’ Rundhaus, setzte sich mit einem Becher Rindentee auf einen Holzschemel und breitete ihren Kalender aus.
    Der Kalender war eine in Spalten unterteilte Bronzetafel, von Myrddin sorgfältig mit lateinischen Buchstaben beschriftet – sie hatte auf Latein bestanden, trotz des barbarischen Ursprungs des Kalenders. Seine sechzehn Spalten standen für jeweils vier Monate. Diese Tafel umfasste also einen Fünfjahreszyklus. Sie gehörte zu einem Satz, der einen vollständigen neunzehnjährigen Kalender ergab, und es hieß, dass die Druiden, die diese gewaltige Tabellarisierung ersonnen hatten, noch an viel größeren Zyklen arbeiteten.
    Es war ein Kalender für Bauern und Krieger. Jedes Jahr war in zwei Hälften geteilt, mit einer guten Hälfte – mat –, die sich von Beltane im Frühling bis zum Samhain im Herbst erstreckte, und der »schlechten« Hälfte – ähm –, welche die Wintermonate umspannte. Und dann war jeder Monat aus neunundzwanzig oder dreißig Tagen selbst in gute und schlechte Hälften unterteilt. Die mat-Monate entsprachen nicht nur der Anbauzeit, sondern auch der jährlichen Zeit für Feldzüge: Ein guter Tag war für Celtae ein Tag zum Kämpfen. Aber Samhain rückte erneut näher, und zu ihrer Erleichterung war auch die diesjährige Zeit für Feldzüge beinahe vorbei. Regina hatte eingesehen, dass es notwendig war, Krieg zu führen, aber die damit einhergehende Verschwendung von Leben war ihr zuwider, und sie konnte es jedes Jahr kaum erwarten, dass die Kriegszeit endete.
    Jedenfalls war der Kalender sehr kompliziert. Aber er funktionierte – nachdem sie sich einmal daran gewöhnt hatte, wie die Celtae zu denken, statt sich an einer Rückübertragung in das römische Gegenstück zu versuchen; das war der Schlüssel gewesen. Das Wesentliche an dem Kalender war, dass jeder Tag des gesamten neunzehnjährigen Zyklus eine andere göttliche Note hatte, die auf subtile Weise festlegte, welche Entscheidungen getroffen und welche Götter milde gestimmt werden mussten. In gewissem Sinn war es sogar tröstlich zu glauben, dass die Gestalt des Universums, bis hinab zu Tag und Stunde, das Ergebnis uralter kosmischer Entscheidungen war. Es erinnerte sie an den alten Aetius, ihren Großvater. Bevor sie in Artorius’ Hauptstadt gekommen war, hatte sie ihn für den abergläubischsten Menschen gehalten, den sie kannte; wenn es um die alten Götter ging, waren die Römer wahrhaftig nicht besonders rational gewesen.
    Also würde sie denken wie die Celtae. Sie hätte sich ohnehin kaum weigern können, den Kalender zu gebrauchen, denn er war Artorius’ Idee gewesen. Aber sie wollte ihre Bronzetafeln und ihr Latein nicht aufgeben. Die Druiden behielten ihren Jahrhunderte umspannenden Kalender vollständig im Kopf, aber ein neuer Druide brauchte zwanzig Jahre, um die mündlich überlieferten Gesetze auswendig zu lernen, die den Kern der alten Religionen bildeten. Nun, sie war bereits Ende vierzig, und falls ihr weitere zwanzig Jahre vergönnt waren, so würde sie mit ihrer Zeit sicherlich etwas Besseres anzufangen wissen.
    Nachdem sie mit ihrer Prüfung des Kalenders fertig war, nahm sie, den Kopf voller exakt geregelter Vorbedeutungen und Omen, ihre Wachstafel und den Stift zur Hand und verließ ihr Arbeitszimmer zu ihrer täglichen Inspektion.
     
    Es war später Vormittag. Kein Dunsthauch trübte die sonnenhelle Luft, obwohl die spürbare Kälte schon den kommenden Winter ankündigte.
    Die Kolonie auf der flachen Hügelkuppe war gewachsen: Fast fünfhundert Menschen lebten nun hier, und etliche tausend weitere im Ackerland um die Festung herum. An diesem Morgen brannten noch Feuer in den Hütten und Rundhäusern, und die Luft war von starkem Rauchgeruch und fettigeren Kochdünsten erfüllt. Es herrschte hektische Betriebsamkeit. Menschen liefen zwischen den Häusern hin und her, und eine stetige Kolonne marschierte durchs offene Tor hinaus und kam mit Holz, Wassereimern und Heuballen zurück. Kinder liefen ihnen vor die Füße, wie sie es immer taten, fröhlich, gesund und von Kopf bis Fuß verdreckt.
    Neben Artorius’ großer Halle gab es nun Getreidespeicher und Lagergruben, sieben große Rundhäuser und schlichte rechteckige Gebäude, die von den Handwerkern genutzt wurden. Auch wenn dies vielleicht irgendwann eine

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