Der Orden
tugendhaft zwischen zwei Kämpfer gestellt hatte, von einem nach seiner Ration Blut dürstenden Mob getötet worden war.
Reginas Eingang war ein Torbogen mit detailreich bemalten Stuckverzierungen; die Farbe war jedoch großenteils verblichen und abgeblättert. Sie ging hindurch und befand sich im hohlen Bauch des gewaltigen Bauwerks, einem dreidimensionalen Irrgarten aus Gängen und auf und ab führenden Treppen voller Menschen, die in beide Richtungen strömten – die großen, radial angeordneten Treppen trugen den anschaulichen Namen vomitoria, weil sie die Menschen geradezu »erbrachen«. Regina konnte mit ihrer Marke jedoch auf der unteren Ebene bleiben; ihr Weg führte durch einen kurzen Gang tiefer in die Eingeweide des Komplexes hinein.
Sie trat in helles Tageslicht und eine Flut von Farben und Lärm hinaus.
Bald stand sie in einer kleinen Loge mit Holzbänken. Außer ihr war niemand hier. Zögernd setzte sie sich ans Ende einer Bank. Es überraschte sie, dass sie einen solchen Platz bekommen hatte, denn sie wusste, dass diese Logen für die Familie des Kaisers und für Senatoren, Magistrate, Priester und andere Honoratioren reserviert waren.
Ihre Loge befand sich zusammen mit mehreren anderen direkt über der Ebene des Holzbodens. Die Arena um sie herum war eine riesige, elliptische Schüssel. Hinter ihr stiegen Reihen von Holzbänken in vier gewaltigen Terrassen an. Die Sitze füllten sich rasch, und die Gesichter der Menschen wurden im Schatten der oberen Reihen zu bloßen Punkten.
Sie sah Arbeiter an den Rändern des riesigen, offenen Stadiondachs. Sie zogen enorm große Stoffbahnen über ein Spinnennetz aus Seilen, das über das klaffende Dach gespannt war: Diese Plane würde die Zuschauer vor der Sonne schützen. Die Arbeiter waren angeblich Seeleute aus dem Hafen, tausend Mann, die man wegen ihres Geschicks im Umgang mit Tauwerk und Segeln hierher gebracht hatte.
Und als sie zur anderen Seite der Arena hinüberschaute, verschmolzen die Menschen auf diesen fernen Sitzen zu einem Meer aus Bewegung, Farbe und Fleisch, einer Menge, die von der gewaltigen Geometrie des Amphitheaters geordnet wurde. Mit einem Blick konnte sie zwanzigtausend Menschen sehen – vielleicht die vierfache Einwohnerschaft des alten Verulamium, als hätte man ganze Städte hochgehoben und geschüttelt, bis ihre menschlichen Bewohner in diese gigantische Schale aus Marmor und Backstein purzelten.
In der Arena hatte das Spektakel bereits begonnen. Zur schmetternden Musik von Trompeten und einer riesigen Orgel raste eine Parade von Streitwagen um die Innenfläche herum. In jedem stand ein Gladiator mit purpurnem oder goldenem Umhang. Sie wurden von Sklaven mit Schilden, Helden und Waffen gejagt. Die Menge begann, ihre Favoriten mit lautem Gebrüll anzufeuern. Obwohl sich die Arena noch nicht ganz gefüllt hatte, war der Lärm bereits gewaltig – berauschend, erschreckend –, und der Geruch von Holzsplittern, Blut und Schweiß lag in der Luft. Regina lief es kalt über den Rücken.
Weitere Darsteller erschienen mitten in der Arena. Sie kamen durch Falltüren herauf, aber der Effekt war so ausgeklügelt, dass es den Anschein hatte, als wären sie abrupt aus dem Nichts aufgetaucht. Es gab Boxkämpfe, Fechterinnen und eine Reihe lustiger Possen zu sehen – zum Beispiel ein Wettrennen zweier ungeheuer dicker Sklaven, angetrieben von Soldaten mit spitzen Speeren, das damit endete, dass beide lang ausgestreckt und keuchend auf dem Boden liegen blieben. Die Menge schien all das zu genießen.
Dann mussten die Akrobaten, Jongleure und Clowns das Feld räumen, und ein Bataillon von Arbeitern kam heraus und verteilte Buschwerk und Felsbrocken in der Arena. Die Falltüren öffnet sich erneut, und eine Schar von Tieren strömte heraus: Leoparden, Bären, Löwen, Giraffen, Strauße, sogar ein Elefant. Plötzlich in diese riesige Schüssel aus Lärm und Sonnenlicht geworfen, wanderten diese Tiere, die für Reginas Augen erschreckend und seltsam aussahen, voller Angst ziellos umher. Nicht einmal die großen Raubkatzen waren imstande, die Verwirrung und die Nähe ihrer Beute auszunutzen. Mit Speeren, Schwertern, Netzen und Schilden bewaffnete Krieger liefen herbei und stachelten die verwirrten Tiere auf.
Als die Kreaturen zu sterben begannen, steigerte sich das Gebrüll der Menge zu einem Crescendo.
»Da komme ich ja gerade noch rechtzeitig zur Tierhetze.« Regina spürte einen warmen Atemhauch an ihrer Wange und roch den feinen Duft von
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