Der Orden
trat in diesen Mustern die Seele der Stadt selbst in Erscheinung.
So bemerkenswert die Stadt auch sein mochte, Regina fürchtete, sie könnte Jahre brauchen, um dieses gewaltige Nest für eine Million Menschen kennen zu lernen. Also gelangte sie zu dem Schluss, dass sie die Suche am besten abkürzte, indem sie Julia zu sich kommen ließ.
Mithilfe von Amators Geld machte sie ihren Namen überall bekannt, wo sich die Wohlhabenderen versammelten, in den berühmteren Bädern, Gaststätten und Theatern. Sie ging auch in die Tempel – nicht nur in die neuen christlichen Kirchen, die seit Konstantins Tagen überall in Rom aus dem Boden geschossen waren, darunter auch seine mächtige Basilika über dem Grab des heiligen Petrus, sondern auch in die älteren Tempel der heidnischen Kulte. Wenn ihr Name auf die eine oder andere Weise ans Ohr ihrer Mutter drang, dann, so hoffte sie, würde Julia sich vielleicht veranlasst sehen – aus Neugier, Scham oder sogar Restspuren von Liebe? –, ihre Tochter aufzusuchen. Regina wusste, dass die Erfolgsaussichten gering waren, aber ihr fiel nichts Besseres ein. Die Ergebnisse ließen jedoch auf sich warten.
Und als ihre Wochen in Rom zu Monaten wurden, trat eine weitere Entwicklung ein, die Regina nicht überraschte: Brica verliebte sich erneut. Der junge Mann hieß Castor und war ein Kunde des Ladens, ein intelligenter, freigelassener Sklave von gutem Betragen, der bei einer der vornehmeren Senatorenfamilien arbeitete und dort rasch in eine verantwortliche Position aufgestiegen war.
Brica rechnete offenkundig damit, dass Regina sich der Verbindung widersetzen würde. Aber Regina behielt ihre Meinung für sich. Selbst als Brica trotzig erklärte, sie wolle den jungen Mann heiraten, gab Regina ihr ihren Segen. Sie finanzierte eine Verlobungszeremonie und ein Bankett und bezahlte sogar eine kleine Mitgift an Castors Familie. Diese wurde normalerweise vom Vater der Braut bezahlt – und sie stammte ja auch wirklich von Amators Geld, auch wenn er es nicht freiwillig herausgerückt hatte.
Brica musste leben; Regina akzeptierte das. Sie hatte nicht den Wunsch, ihre Tochter von vorne bis hinten zu kontrollieren. Es genügte ihr, wenn sie ihre eigenen langfristigen Ziele erreichte. Auch eine Heirat würde das nicht verhindern. Irgendjemand würde schließlich der Vater von Bricas Kindern – Reginas Enkelkindern – sein müssen; besser, es war ein junger Römer mit Zukunftsaussichten, als ein tölpelhafter Lehrling von Myrddin.
Außerdem – alles, was Brica ermunterte, besser Latein zu lernen, war gut.
Mehr als drei Monate nach ihrer Ankunft in Rom, als das Sommerlaub sich bereits braun färbte, bekam Regina ein geheimnisvolles Päckchen. Es wurde von einem schmalen jungen Mädchen mit verblüffend grauen Augen gebracht, das seinen Namen nicht nennen wollte.
Das Päckchen enthielt nur eine einzelne Marke aus Messing, die, wie sich herausstellte, für einen Platz im Amphitheater galt – ansonsten keine Aufschrift, keine Nachricht. Reginas Puls raste.
Während sie die Tage bis zu dem Schauspiel zählte, schlief sie noch schlechter als sonst.
Am angegebenen Tag brach Regina frühmorgens auf. Als sie durch die engen Straßen ging, war sie so nervös, als wäre sie wieder sieben Jahre alt und unterwegs zum Schlafzimmer ihrer Mutter, wo Julia ihren Schmuck anlegte und Carta ihr die Haare frisierte.
Dann gelangte sie zum Amphitheater. Es war eine gewaltige Marmorwand, unterbrochen von einem vierstöckigen Säulengang, aus dem Statuen auf die dicht gedrängte Menge herabschauten. Der prächtige Anblick ließ ihr Herz schneller schlagen.
Ihre kleine Marke lenkte sie zu einem nummerierten Eingang. Sie musste ein gutes Stück um das Amphitheater herumgehen, bis sie den richtigen fand. Straßenhändler bearbeiteten die wimmelnde Menge, verkauften Getränke, Zuckerwerk, Kopfbedeckungen und kleine Geschenke für die beliebtesten Mitwirkenden der Schauspiele. Sie erfuhr, dass es insgesamt sechsundsiebzig Eingänge für die normalen Zuschauer gab. Sechs andere, nicht nummerierte Eingänge waren dem Kaiser und seinem Gefolge vorbehalten, zwei weitere den Gladiatoren – einer für die Rückkehr zu ihren Kasernen, falls sie überlebten, ein anderer, zu dem ihre Leichen hinausgeschleift wurden, falls nicht. Aber in dieser Zeit kämpften die Gladiatoren nicht mehr bis zum Tode; die Kaiser hatten tödliche Wettkämpfe vor rund dreißig Jahren verboten, als ein christlicher Märtyrer, der sich
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