Der Orden
darunter die jüngere Helena, waren jedoch nicht nur von göttlicher, sondern durchaus auch von weltlicher Weisheit gewesen und hatten für den Fall einer solchen Katastrophe einen Haufen Geld beiseite gelegt.
»Eine Gruppe der Jungfrauen hat eine Möglichkeit gefunden zu überleben«, sagte Julia. »Wir dienen immer noch einer Göttin, weihen die Reinheit unserer Jugend immer noch dem Dienst für sie. Aber es ist eine andere Göttin. Wir nennen uns ›Der Mächtige Orden der Heiligen Maria, Königin der Jungfrauen‹. Und wir sind nach wie vor dem Pontifex Maximus unterstellt – nur dass er jetzt der Papst der Christen ist.«
Regina starrte sie erstaunt an. »Maria – die Mutter der Christen? Bist du Christin geworden, Mutter?«
»Man muss sich anpassen.« Julia lächelte, und für einen Moment gewahrte Regina etwas von Aetius’ Kraft und Unverwüstlichkeit in den Augen seiner Tochter. »Und wie du siehst, können wir uns immer noch eine der besten Logen des Amphitheaters leisten. Deine Tante Helena hat zwei Töchter, Leda und Messalina – ich glaube, Messalina ist ungefähr in deinem Alter. Sie hat ebenfalls Kinder, Töchter.« Alles Töchter, bemerkte Regina geistesabwesend, keine Söhne. Julia fuhr fort: »Und ich habe auch eine Tochter…«
Regina schloss die Augen. »Mutter, du hast zwei Töchter.«
Julia griff kurz nach ihrer Hand, aber Regina zog sie zurück. »Dann also zwei Töchter. Deine Schwester heißt Leda.«
»Halbschwester.«
»Ja. Ihr Vater ist tot. Er spielte keine Rolle.« Ihr wegwerfender Ton war erschreckend. »Und jetzt«, sagte Julia leise, »bist du hier. Was willst du, Regina?«
Regina spreizte die Hände. »Ich bin hier, um mir ein besseres Leben aufzubauen, als ich es in Britannien hätte finden können.« Sie erzählte ihrer Mutter vom mörderischen Vormarsch der Sachsen und der Dummheit britannischer Führer wie Artorius, die immer noch von Imperien träumten. »Und ich bin hier«, sagte sie, »um gewisse Schulden einzutreiben.«
»Bei diesem Amator. Und zweifellos auch bei mir.«
»Du hattest die Pflicht, mich zu beschützen«, sagte Regina ruhig. »Eine Pflicht, die durch den Tod meines Vaters noch verdoppelt wurde. Diese Pflicht hast du nicht erfüllt. Wenn Aetius nicht gewesen wäre…«
Julia nickte nachdenklich. »Mein Orden ist nicht reich. Aber wir können euch aufnehmen – dich und deine Tochter –, wenn ihr einverstanden seid. Wir gehören zur Familie: Leda, Helena und ihre Töchter, ich selbst, wir leben alle in derselben Gemeinschaft.«
Der Vorschlag klang für Regina akzeptabel. Immerhin würde die Familie zusammen sein, ein Netzwerk von Müttern und Töchtern, Tanten und Nichten, Schwestern und Cousinen.
»Ich werde es mir überlegen.«
»Gut. Über die Bedingungen können wir uns später noch unterhalten.«
Bedingungen?… Wir machen ein Geschäft, dachte Regina, wir handeln mit Pflicht und Schuld. Wie kalt wir sind – und wie sehr diese Frau mir gleicht – oder wie ähnlich ich ihr geworden bin.
Die Menge brüllte erneut auf, und Regina warf wieder einen Blick in die sonnendurchflutete Arena.
Die Tiertöter hatten ihr Werk beinahe vollendet. Die letzten Tiere wurden losgelassen – aber es waren keine Tiere, sondern Menschen, dachte Regina zuerst. Sehr groß, splitterfasernackt, liefen sie wie der Wind, schneller als jeder andere Mensch, den sie kannte. Und sie sah, dass die Schädel über ihren sehr menschlichen Gesichtern flach waren, ihre Augenbrauen wichen von dicken Wülsten über den Augenhöhlen zurück, in denen mühelos Entsetzen und Verwirrung zu entdecken waren.
Nein, keine Menschen; sie waren so etwas wie Affen, erklärte ihre Mutter. Die Menschenähnlichkeit dieser Affenmenschen machte sie zu Lieblingen des Publikums. Sie wurden auf langen Handelswegen aus China fern im Osten, wo es noch vereinzelte Gruppen dieser Geschöpfe in den Bergen gab, nach Rom gebracht. In dieser Zeit, in der es hier in Rom nur so von Menschen zu wimmeln schien, war die Welt noch immer ein leerer und weitgehend unerforschter Ort, und ihre Winkel enthielten viele Überbleibsel einer tieferen Vergangenheit. Die Affenmenschen wollten nicht kämpfen, aber sie waren geschmeidig und sehr schnell, und die Tiertöter mussten sie mit Streitwagen überfahren, bevor sie getötet werden konnten.
»Als Nächstes kommen die Hinrichtungen«, sagte Julia. »Banditen, Vergewaltiger, Häretiker und Ladenbesitzer, die Geld unterschlagen haben, werden an Pfosten gebunden,
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