Der Orden
Manifestationen der jungfräulichen Mutter Christi und ihre drei Gesichter repräsentierten die drei christlichen Tugenden des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe.
Regina hatte sich von Anfang an nicht gescheut, Julia und Helena ihre Ansichten und Vorschläge aufzuzwingen.
Das Hauptproblem war wie immer Geld. Der Orden wurde nach wie vor im Wesentlichen durch Ersparnisse aus den letzten Tagen der vestalischen Jungfrauen finanziert, aber das war eine begrenzte Reserve, die rasch zur Neige ging. Und da sie großenteils in Form von Goldmünzen und Schmuck in unterirdischen Verstecken aufbewahrt wurde, war sie, wie Regina bald erkannte, kaum vor Raubüberfällen geschützt. Das einzige Einkommen bestand aus den sporadischen Arbeitsentgelten der jüngeren Mitglieder des Ordens für Tätigkeiten wie die von Brica in Amators Bäckerei. Aber das war zu wenig und zu unregelmäßig: Nur wenige Frauen hatten in Rom jemals hohe Löhne bekommen. Und ein zu großer Teil der Gruppe bestand aus älteren Mitgliedern wie Julia und Helena, die überhaupt kein Geld verdienten.
Regina hatte sich sofort daran gemacht, eine neue Einkommensquelle zu erschließen.
Sie fand, dass der Orden auf seine zentralen Stärken aufbauen sollte. Immerhin war er eine Gemeinschaft, die von Frauen geleitet wurde und nun fest auf respektablen christlichen Prinzipien gründete. Dennoch war es ein offenes Geheimnis – und ihrer Ansicht nach konnte es auch nichts schaden, es durchsickern zu lassen –, dass sie ihre Herkunft bis zu den vestalischen Jungfrauen und der heidnischen Göttin zurückverfolgen konnten, die dafür gesorgt hatte, dass Rom achthundert Jahre lang unangetastet geblieben war. Selbst unter praktizierenden Christen gab es jede Menge Traditionalisten, die sich zu einer solchen Vereinigung hingezogen fühlten. Um das Bild zu verstärken, verlangte sie, dass alle Mitglieder des Ordens eine schlichte, von ihr entworfene Tracht trugen, eine lange und zurückhaltende weiße stola mit einem Purpurstreifen – sie hatte bemerkt, wie sehr es die Römer beruhigte, wenn man einem Gewand einfach nur die Farbe Purpur hinzufügte.
Es störte Regina nicht im Geringsten, dass eine solche Verkaufsmasche, die auf christlicher Moral und heidnischer Reinheit gründete, die Beibehaltung zweier widersprüchlicher Glaubenssysteme erforderte.
Bezüglich der Frage, was sie ihrem traditionalistischen Markt verkaufen konnten, entschied sich Regina nach einiger Überlegung für Schulausbildung. Die Erziehung der Jugend des Imperiums war immer ein ziemlich planloses Unterfangen gewesen. Nur die Söhne der Reichen konnten mit einer umfassenden Ausbildung auf allen drei traditionellen Ebenen -Grundschule, Grammatiker- und Rhetorenschule – rechnen. Mädchen genossen ebenso wie Jungen aus niedrigeren Ständen oft nur die elementarste Grundschulausbildung, bei der sie Lesen und Rechnen lernten. Aber in schwierigen Zeiten wollten die Eltern ihre Töchter so gut wie möglich für eine ungewisse Zukunft gerüstet wissen – und das bedeutete, ihnen eine ebenso umfassende Ausbildung zuteil werden zu lassen wie den Jungen.
Eine solche Ausbildung, beschloss Regina, würde der Orden bieten. Fest angestellte Rhetorik- und Grammatiklehrer würden den Schülerinnen eine Ausbildung ermöglichen, die der eines Jungen gleichwertig war. Während ihrer Ausbildung sollten die Schülerinnen auf dem Anwesen untergebracht werden und in moralisch einwandfreier Atmosphäre aufwachsen. Dafür würde der Orden natürlich eine Gebühr verlangen, aber da viele Schülerinnen sich die Lehrer teilten, würde es weitaus weniger kosten, als wenn eine einzelne Familie Privatlehrer anstellen müsste.
Regina schaffte es, dieses Konzept binnen drei Monaten in die Praxis umzusetzen. Nach sechs Monaten begann der Unterricht. Bei der ängstlichen römischen Bevölkerung war ihr damit großer Erfolg beschieden gewesen. Mittlerweile war die Zahl der Mädchen und jungen Frauen, die hier wohnten, auf hundert gestiegen, und viele weitere standen auf Wartelisten. Das hatte einen hektischen Wachstumsschub auf dem Anwesen ausgelöst; mehrere Gebäude waren renoviert und hastig erweitert worden, um die Neuankömmlinge aufzunehmen. Und das Geld strömte herein. Regina hatte sogar ein Projekt in die Wege geleitet, das es Familien ermöglichte, durch testamentarische Zuwendungen an den Orden die Ausbildung und Erziehung nicht nur der Töchter, sondern auch der Enkeltöchter in der nächsten Generation
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