Der Orden
dir wehzutun? Amator, wie kannst du nur so etwas denken?«
»Deine Rache ist schäbig, Regina.« Doch unter der Maske all der Schminke war sein Gesicht verzerrt.
»Sulla wärmt dir doch nur das Bett«, sagte sie. »Und wie es scheint, tut er es nicht einmal gern.«
»Oh, das war vielleicht am Anfang so. Aber jetzt…« Er marschierte auf und ab. »Kannst du das überhaupt verstehen, Regina? Hast du jemals geliebt?«
»Ich verstehe, dass du ein törichter und egoistischer alter Mann bist«, sagte sie kalt. »Der weiche Körper dieses Jungen hat dein Herz weiter schlagen und deinen Schwanz hart werden lassen. Doch jetzt entwächst er dir. Und wenn er fort ist, hast du gar nichts mehr.«
»In meinem Leben fehlt etwas«, seufzte er. »Natürlich habe ich eine Tochter – Brica –, aber sie gehört nicht zu mir und wird auch nie zu mir gehören. Ich verstehe das; ich akzeptiere es. Und ich habe keinen Sohn… Ich habe Sulla zu meinem einzigen Legator ernannt. Verstehst du? Der Junge ist kein Diener mehr, sondern mein Geliebter, mein Erbe. Er ist das Beste an mir. Und jetzt, ja, jetzt habe ich Angst, ihn zu verlieren.«
Sie zuckte die Achseln, darauf bedacht, keinerlei Reaktion auf diese Neuigkeit bezüglich seines Erbes zu zeigen. »Ich weiß nicht, weshalb du damit zu mir kommst.«
Er ließ den Kopf hängen. »Ob du deine kuhäugige Nichte nun absichtlich zwischen uns gebracht hast oder nicht, ich bitte dich, ihn mir zurückzugeben. Siehst du – ich unterwerfe mich dir. Du hast mich besiegt, Regina. Bist du nun zufrieden?«
Sie gab keine Antwort.
Als er fort war, rief sie Amators Jungen, Sulla, in ihr Arbeitszimmer.
Regina setzte ihm sorgfältig auseinander, dass Amator eifersüchtig und zornig sei. Dass Sulla nach dem morgigen Fest nicht mehr in Venus’ Nähe kommen dürfe. Dass Amator ihn belogen habe, was seine Erbschaftspläne betreffe. Dass er den Jungen einzig und allein wegen seines geschmeidigen Körpers nützlich finde und ihn künftig nicht nur selbst benutzen, sondern auch nur so zum Spaß einigen seiner Freunde ausleihen wolle. Dass Sulla erst aus dieser Knechtschaft entlassen werde, wenn die Jahre ihm seine Attraktivität geraubt hätten oder wenn sein Körper ruiniert und zu nichts mehr zu gebrauchen sei.
All das erklärte sie ihm in lebhaftem Ton und wandte sich dann wieder ihren Schriftstücken zu, als wäre ihr seine Reaktion gleichgültig.
Regina hatte rasch eine zentrale Rolle in der Arbeit des Ordens eingenommen. Die Fähigkeiten, die sie sich in all den Jahren als Verwalterin bei Artorius angeeignet hatte, waren hier unentbehrlich.
Nachdem sie ihre Mutter im flavischen Amphitheater getroffen hatte, war sie mit Brica ohne jedes Bedauern aus ihrer engen kleinen Wohnung über der Gaststube in dieses prächtige Haus umgezogen. Es lag in einem Vorort außerhalb der alten aurelianischen Mauer, ein umfangreicher Gebäudekomplex im traditionellen Stil mit einem Atrium und einem peristylium im Zentrum.
Es war jedoch nicht zu übersehen, dass das Anwesen schon bessere Zeiten erlebt hatte. Früher einmal war es das Heim einer Senatorenfamilie gewesen, die bei einem der vielen brudermörderischen Kämpfe um den kaiserlichen Purpur in Rom den falschen Kandidaten unterstützt und eine schlimme Zeit durchgemacht hatte, bis ihr nichts anderes mehr übrig geblieben war, als es zu verkaufen. Die Wasserversorgung durch das Aquäduktsystem war ausgefallen, und das Badehaus war geschlossen worden. Da viele Dächer leckten und das Pflaster im Atrium und im peristylium geborsten und mit Unkraut überwachsen war, standen auch einige der anderen Gebäude leer.
Der Orden selbst war in kaum besserer Verfassung gewesen. Die Mitgliederzahl der kleinen Gemeinde war schon seit einiger Zeit geschrumpft, und als Regina kam, waren es nur noch fünfundzwanzig Personen, die sich in den erhaltenen Gebäuden drängten und dort auf Etagenbetten schliefen, übereinander gestapelt wie amphorae auf Regalen.
Trotzdem hatten Regina und Brica sich hier häuslich eingerichtet. Regina hatte ihre drei mürrischen Göttinnen in den kleinen Tempel des Anwesens gestellt: Das ehemalige lararium eines Senators war jetzt der Schrein einer neuen, komplexeren Familie. Sie achtete jedoch darauf, nicht den Zorn der Christen auf sich zu ziehen. Es war eine lange Tradition bei den Römern, ihre eigenen Gottheiten mit denen der Barbarenvölker zu identifizieren, auf die sie in den Provinzen trafen. Also behauptete sie, die matres seien
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