Der Orden
Geburtsfeier der kleinen Aemilia war schlicht und traditionell. Da es der achte Tag nach ihrer Geburt war, bekam der Säugling förmlich seine Namen: Aemilia als Vornamen, dazu den Namen der Mutter. Die förmliche Registrierung des Kindes im Tempel des Saturn sollte am nächsten Tag erfolgen.
Der Vater, ein phlegmatischer Geldverleiher, hielt das kleine Bündel in den Armen und hob es in die Luft. Es war ein entscheidender Augenblick für das Kind, wie Regina inzwischen wusste. In Rom hatten die Väter trotz des jahrhundertelangen Wohlstands noch immer das Recht, ihre Kinder abzulehnen, und besonders in unruhigen Zeiten wie diesen war die Aussetzung von Säuglingen nichts Ungewöhnliches.
Die Volljährigkeitszeremonie für Venus war komplizierter. Bei den Römern gab es keine richtige traditionelle Feier für den Abschied eines Mädchens von der Kindheit – anders als bei einem Jungen, der während des Festes von Liber und Libera im März seine Kinderkleidung den Haushaltsgöttern weihte, zum ersten Mal seine Männertoga anlegte und dann mit seinen Angehörigen zwecks Registrierung zum Tabularium marschierte. Regina hatte jedoch beschlossen, eine solche Tradition für die Mädchen des Ordens einzuführen. Deshalb wurde Venus nun zum Zeichen dafür, dass sie erwachsen war, in eine schlichte stola gehüllt, die derjenigen ihrer Lehrerinnen glich, jedoch ohne den Purpurstreifen der Älteren. Sie wurde aufgefordert, ein sorgfältig in weißes Tuch gehülltes Stück Stoff mit einer Spur ihrer ersten Blutung zu übergeben.
Währenddessen beobachtete Regina Sulla, der sich im Hintergrund hielt, den traurigen Blick auf das Mädchen gerichtet; hinter ihm schlich Amator herum, mit rotem Gesicht, einen Weinkelch in der Hand und bereits betrunken.
Nach den Zeremonien begannen die Festlichkeiten. Das Atrium, das peristylium und die großen Empfangsräume waren für Speis und Trank, Musik und Tanz reserviert. Als das Fest begann, ging Sulla schnurstracks zu Venus. Er labte sich an ihren Speisen, ihrem Wein und ihrer Aufmerksamkeit und tanzte so oft mit ihr, wie er konnte. Regina genoss die zunehmende Qual in Amators erbleichtem Gesicht.
Als der Tag dem Ende entgegenging, der Festschmaus vorbei war und die kleinsten Kinder bereits eingeschlafen waren, formte sich die Hochzeitsprozession. Die Tradition verlangte, dass die Braut von drei kleinen Knaben begleitet wurde; einer hielt ihre linke Hand, einer ihre rechte, und der dritte trug eine Fackel, die im Herd im Haus ihrer Mutter entzündet worden war. Regina hatte beschlossen, diese Tradition ein wenig zu verändern, sodass nun drei ihrer jüngeren Schülerinnen den Platz der Knaben einnahmen. Die Prozession von Braut, Bräutigam, Brautjungfern und Hochzeitsgästen würde sich nun durch die Straßen zum Heim des Bräutigams begeben. Dort würde Brica die Fackel wegwerfen; demjenigen, der sie fing, war ein langes Leben sicher. Sie würde die Türpfosten mit Öl und Fett bestreichen und mit Wolle umhüllen. Dann würde sie sich von ihrem Gemahl über die Schwelle tragen lassen. Im Innern würde sie symbolisch Feuer und Wasser berühren und dann zum Schlafgemach geführt werden…
Doch zu all dem kam es nicht mehr.
Sie hatten das Anwesen noch nicht verlassen, als in der Stadt die ersten Schreie ertönten. »Die Vandalen! Die Vandalen sind da!«
Regina hörte die Schreie und sah das flackernde Rot der Feuer.
Brica packte ihren Bräutigam am Arm. Die Hochzeitsprozession löste sich auf, und die Gäste liefen mit ihren Fackeln verwirrt durcheinander. Einige von ihnen waren zu bezecht, um echte Angst zu verspüren, anderen war in ihrer Trunkenheit ohnehin schon alles egal.
Julia kam händeringend zu Regina. »Die Vandalen greifen nachts an. Das weiß jeder. Sie schwärzen ihre Gesichter und Schilde, und…«
Regina nahm ihre Hände und hielt sie fest. Julias Finger waren dünn, die Knochen so zerbrechlich wie die eines Vogelkükens. »Mutter«, sagte sie. »Hab keine Angst. Ich habe Vorbereitungen getroffen. Tu, was ich sage. Wenn du mich unterstützt, braucht niemand verletzt zu werden. Verstehst du?«
Trotz ihrer offenkundigen Angst zwang sich Julia zu einem kleinen Grinsen. »Du warst schon immer die Starke, Regina.«
»Ich zeige euch den Weg. Wir haben nicht genug Platz für alle. Die Familie kommt natürlich zuerst. Beeil dich, Mutter!«
Während Julia durch die verwirrte Menge davoneilte, um Helena und die anderen Älteren zu suchen, zog Regina Brica von ihrem
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