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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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dann nur noch Taubheit.
    Sie zeigten ihr das Baby. Es war ein Mädchen, eine kleine, karmesinrote Masse, aber, wie Patrizia ihr versicherte, stark und gesund. Lucia hielt es kurz in den Armen.
    Dann nahm ihr Patrizia das Baby sanft wieder weg. Die Krankenschwestern wickelten es in Decken und verschwanden mit ihm. Patrizia presste ihr einen Injektor an den Hals, und die Welt glitt davon.

 
32
     
     
    Während Regina in der rauchigen, immer gleichen Wärme der Krypta älter wurde, strömte die Zeit ruhig dahin, obwohl sie gewissenhaft ihren Kalender pflegte und ihre Aufzeichnungen führte. Trotzdem dachte sie oft an ihre letzte Begegnung mit Ambrosius Aurelianus zurück, aber auch daran, wie sie mit Agrippina umgesprungen war. Ihre damaligen Handlungen hatten bedeutsame Folgen gehabt – zumindest war es ein unvergesslicher Tag geworden.
    Drei Jahre danach hatte Julia, Agrippinas jüngste Schwester, die Zeit für ihre Menarche erreicht – aber es war kein Blut geflossen. Tatsächlich setzte ihre Blutung erst in ihrem achtzehnten Lebensjahr ein, vier Jahre später als bei ihrer Schwester, und selbst dann kam sie nur unregelmäßig. Julia war ein fröhliches, tüchtiges Mädchen, selbstbewusster als ihre ältere Schwester, aber es war, als hätte ihr Körper, erschrocken über die Behandlung, die Agrippina zuteil geworden war, selbige so lange wie möglich hinausschieben wollen.
    Regina begrüßte diese sonderbare Entwicklung, obwohl ihr der Gedanke, dass es solch seltsame Kräfte in der Welt – in ihr – geben könnte, ein wenig Angst machte.
    Einige Zeit später hörte sie von einer weiteren Folgewirkung jenes schicksalhaften Tages.
    Artorius hatte seinen letzten Feldzug durchgeführt. Sein »Verbündeter«, der kaiserliche Präfekt Arvandus, hatte ihn verraten, sodass er schließlich von Euric, dem König der Visigoten, besiegt worden war. Er hatte sich ins Königreich der Burgunder zurückgezogen, und danach hatte man nichts mehr von ihm gehört. Er war jedenfalls nicht mehr nach Britannien zurückgekehrt; wahrscheinlich war er tot.
    Wenn sie an seiner Seite geblieben wäre, dachte Regina, hätte ihre Schläue ihn vielleicht ein wenig länger am Leben erhalten. Doch alles Geld, das sie Artorius gegeben hätte, jede Unterstützung wäre nur für einen weiteren Feldzug, eine weitere Schlacht vergeudet worden, bis ihn der Tod schließlich eingeholt hätte. Ambrosius Aurelianus allerdings errang anschließend noch größeren Ruhm. Nach Artorius’ Verschwinden kamen seine eigenen Führungsqualitäten zum Vorschein, und sein Sieg über die Sachsen in der Schlacht am Berg Badon verschaffte den Britanniern eine Atempause. Es war eine Heldentat, die ihm den Spitznamen »der letzte Römer« einbrachte.
    Alsbald trafen jedoch noch mehr Sachsen ein, die ihre kleinen Königreiche an der Küste verstärkten. Sie drangen weiter nach Westen und Norden vor, und die von Haus und Hof vertriebenen Britannier ergaben sich oder flohen, wie Artorius es seit langem vorausgesehen hatte. Und im Kielwasser der Sachsen wurde das römische Britannien bis auf die Grundfesten ausradiert. Den verzweifelnden Britanniern blieben nur noch Legenden, denen zufolge Artorius nicht tot war, sondern nur schlief, das mächtige Schwert Chalybs an seiner Seite.
     
    Es kam die Zeit, als Bricas Mutterschoß austrocknete.
    »Aber ich bin zufrieden«, sagte Regina zu ihrer Halbschwester Leda. Sie saßen im peristylium, dem seltsamen unterirdischen Garten der Krypta, wo die Pilze wie Laternen zu leuchten schienen. Die drei ältesten Frauen des inneren Familienkreises waren da: Regina selbst und Venus, die Enkelin von Reginas Tante Helena. »Brica hat mir acht Enkelkinder geschenkt – drei Jungen, die bereits ihre Lehre in der Welt draußen begonnen haben, und fünf großartige, schöne Arbeiterinnen für den Orden. Mehr kann man nicht verlangen.«
    »Ja, Regina.«
    »Wir sind eine gesunde Familie – und im Schutz der Krypta ist uns ein langes Leben vergönnt.«
    Das stimmte. Der Besuch von Ambrosius Aurelianus lag nun bereits sechs Jahre zurück. Regina war inzwischen in den Siebzigern, und Brica war über fünfzig. Selbst als Rom auf dem Gipfel seiner Macht gewesen war, hatten nur wenige Menschen ein höheres Alter als vierzig oder gar fünfzig Jahre erreicht.
    Und in den gegenwärtigen chaotischen Zeiten mit ihren um sich greifenden Krankheiten, der Knappheit an Nahrungsmitteln und Wasser und den Angriffen der Barbaren sank dieser Durchschnitt stetig.

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