Der Orden
vielleicht besorgen sie dir ein Quartier unten bei den matres.«
»Na prima. Bestell mir schon mal falsche Zähne und eine muffelige Strickjacke…«
Tags darauf war ihre morgendliche Übelkeit schlimmer denn je. Bald war sie so erschöpft, dass sie außer der Arbeit auch noch den Unterricht aufgeben musste.
In der sechsten Woche wurde sie, wie Pina vermutet hatte, in einen kleinen Raum tief unten im Orkus verlegt.
Er war dunkel, mit einer dicken Velourstapete an den Wänden und dicken Teppichen auf dem Boden, und er war mit uralt aussehenden Möbeln voll gepackt. Es war das Zimmer einer alten Frau, dachte sie elend. Aber sie hatte es für sich allein, und obwohl sie die anderen oftmals vermisste – die leisen Geräusche hunderter Mädchen, die nachts überall um sie herum atmeten –, war es ein Hafen der Ruhe.
Die körperlichen Veränderungen schritten in ihrem eigenen erschreckenden Tempo fort, und die Last in ihrem Bauch wuchs mit jedem Tag. Von der achten Woche an kam zweimal täglich eine Ärztin zu ihr. Ihr Name war Patrizia; sie mochte um die vierzig sein, aber sie war schlank, ruhig und alterslos.
Patrizia drückte auf Lucias Zahnfleisch, das schwammig geworden war. »Gut«, sagte sie. »Das ist normal. Eine Folge der Schwangerschaftshormone.«
»Mein Herz klopft wie wild«, sagte Lucia. »Es hält mich wach, obwohl ich ständig müde bin.«
»Es muss doppelt so hart arbeiten. Dein Uterus braucht doppelt so viel Blut wie üblich, deine Nieren ein Viertel mehr.«
»Ich bin ständig außer Atem. Ich keuche – pff, pff, pff.«
»Der Fötus drückt gegen dein Zwerchfell. Du atmest schneller und tiefer, um deine Sauerstoffzufuhr zu erhöhen.«
»Ich fühle, wie sich meine Rippen dehnen. Die Hüften tun mir so weh, dass ich kaum laufen kann. Meine Hände kribbeln, und ich bekomme Krämpfe in den Füßen. Ich habe entweder Verstopfung oder Durchfall. Meine Hämorrhoiden bringen mich um, und meine Beine sind so stark geädert, dass sie wie Blauschimmelkäse aussehen…«
Patrizia lachte. »Das ist alles normal!«
»Gestern habe ich gespürt, wie mich das Baby getreten hat.«
Diesmal zögerte Patrizia. »Ja, vielleicht.«
»Aber ich bin erst in der achten Woche, also noch nicht mal im dritten Monat!«
Patrizia schaute auf sie herunter. »Da hat wohl jemand zu viel gelesen.«
»Ich bin per Handy ins Internet gegangen.« Dort hatte sie zu ihrer Verblüffung erfahren, dass eine Schwangerschaft bei contadinas neun Monate dauerte und dass sie nicht mehr als ein Kind pro Jahr bekamen…
»Im Internet gibt es für dich nichts zu lernen. Wir bringen hier seit fast zweitausend Jahren Babys zur Welt, mein Kind – auf unsere Art, und zwar erfolgreich.« Sie legte Lucia die Hand auf die Stirn. »Du musst uns vertrauen.«
Doch nach diesem Gespräch nahm Patrizia ihr das Handy weg.
In den folgenden Wochen schienen sich die Veränderungen in ihrem Körper noch zu beschleunigen. Man nahm viele weitere Tests an ihr vor, zum Teil mit hochmodernen Geräten – eine Chorion-Biopsie, eine Fötoskopie, einen Alpha-Fötoprotein-Test und eine Amniozentese. Ihr Baby wurde mit Ultraschall abgebildet. Sie staunte, wie groß und gut entwickelt es war.
Und dann – nur dreizehn Wochen nach ihrem einmaligen Verkehr mit Guiliano – setzten bei ihr die Wehen ein.
Alles war verschwommen. Sie hockte nackt in einem abgedunkelten Raum. Pina war hinter ihr und stützte sie unter den Achseln. Pina sprach mit ihr, aber sie konnte nicht hören, was sie sagte. Sie hatte keine großen Schmerzen, denn auf die Haut geklebte Elektroden schickten Strom durch ihren Rücken.
Patrizia war da. Sie arbeitete fachkundig, ruhig und schnell. Und Lucia war von Frauen umgeben – Rosa, andere Ärztinnen und Krankenschwestern, sogar einige der matres, ein großes Knäuel Weiblichkeit, das sie berührte, ihr den Bauch und die Schultern streichelte, sie sanft küsste; ihre Lippen schmeckten süß, irgendwie beruhigend.
Die letzten Augenblicke waren von Ruhe erfüllt, fand sie. Es war auf seltsame Weise wie in einer Kirche. Die Anwesenden sprachen leise, wenn überhaupt, und aller Augen ruhten auf ihr. Zum ersten Mal in ihrem Leben stand sie ganz und gar im Mittelpunkt; der gesamte Orden folgte den Rhythmen ihres Körpers.
Aber es ist erst dreizehn Wochen her, dachte sie tief in ihrem Innern. Dreizehn Wochen!
Die Geburt ging genauso schnell wie der Rest der Schwangerschaft. Als das Baby krähte, spürte sie ein Brennen um ihre Vagina und
Weitere Kostenlose Bücher