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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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herumschlenderte, stellte sie manchmal überrascht fest, dass bereits tausende von Menschen auf die eine oder andere Weise mit dem Orden zu tun hatten.
    Sie stellte sich den Orden wie die Knolle einer schönen, dicken Frühlingszwiebel vor. Ihren Kern bildete die Familie: die Nachkommen der längst verstorbenen Schwestern Julia und Helena und dann wiederum deren Nachkommen, darunter Leda, Venus, Regina selbst sowie Brica und ihre Kinder. Abgesehen von ihnen wohnten stets hunderte von Schülerinnen entweder in der Krypta oder in den oberirdischen Gebäuden, die der Orden unterhielt. Darüber hinaus gab es Arbeiter mit peripheren Verbindungen zum Orden: beispielsweise die an mehreren Schulen unterrichtenden Lehrer und Rethoren, die Bergleute, die ihre unterirdischen Tunnel immer weiter vorantrieben, sogar Bankierer und Anwälte, die das Einkommen und die Investitionen des Ordens verwalteten. Und dann gab es noch den diffuseren äußeren Kreis derjenigen, die den Orden einfach nur durch ihren Beitrag unterstützten, in bar oder in Naturalien: die Familien der Schülerinnen, die ihre Gebühren bezahlten, ehemalige Schülerinnen, die die Einrichtung, die sie so gut erzogen hatte, dankbar durch Schenkungen oder Erbschaften förderten.
    Doch bei alldem stand die Sicherheit der zentralen Familie an oberster Stelle. Das war Reginas Ziel gewesen, als sie ihre Beziehung zu Brica geopfert hatte, um sie aus Britannien herauszuholen und hierher zu bringen, und das war auch jetzt noch ihr Ziel.
    Sie war zufrieden mit dem, was sie bisher erreicht hatte. Aber es war natürlich alles zeitlich begrenzt. Der Orden musste nicht ewig bestehen bleiben – nur lange genug, um die Familie zu schützen, bis wieder Normalität einkehrte. Und ja, sie war in zunehmendem Maße davon überzeugt, dass sie auf ein System gestoßen war, mit dem sie dieses Ziel erreichen konnte.
    Ihr eigenes Ende war bestimmt nicht mehr fern. Sie merkte das an der schrecklichen Schwäche, die sie morgens befiel, an ihrer bedauerlichen Angewohnheit, Blut zu husten – und an der beunruhigenden harten, unbeweglichen Masse, die sie in ihrem Bauch ertastete, wie ein gewaltiger Scheißhaufen, der nicht heraus wollte. Es war genauso wie bei der Krankheit, die Cartumandua dahingerafft hatte, erinnerte sie sich. Sie hatte keine Angst vor dem Tod. Sie fürchtete nur, das System könnte nicht fertig sein, bevor sie ging. Hatte sie etwas übersehen? Das war die Frage, die sie sich jeden Tag stellte. Hatte sie etwas übersehen, und wenn ja, was…?
     
    Sie hatte keine Ahnung, weshalb der Kaiser sie sehen wollte, aber sie konnte ihm seinen Wunsch kaum abschlagen. Also ging sie am festgesetzten Tag allein durch die Stadt.
    Der Niedergang, den Rom seit ihrer Ankunft erlitten hatte, war nicht zu übersehen.
    Viele Aquädukte und Abwasserkanäle mussten dringend instand gesetzt werden. Die öffentlichen Getreidespeicher waren geschlossen. Etliche Monumente und Statuen waren geplündert oder beschädigt worden – tatsächlich entwendeten die Menschen Steine daraus, entweder für eigene Bauten oder um durch die Verbrennung des Marmors Kalk zu gewinnen. Die Entwässerung einiger Felder außerhalb der Stadtmauern funktionierte nicht mehr, und sie verkamen zu Sümpfen. Manchmal sah man totes Vieh in den angeschwollenen Gewässern des Tibers treiben, und in den ärmeren Stadtteilen gingen regelmäßig Hunger und Krankheiten um. Viele Reiche waren in das vergleichsweise komfortable Konstantinopel geflohen; viele Arme waren gestorben.
    Regina war bestürzt, aber sie sah das alles nicht zum ersten Mal. Es war wie in Verulamium oder Durnovaria, nur in großem Maßstab. Dennoch wimmelte es auf dem Forum und den Märkten von Menschen; selbst jetzt war es noch eine großartige Stadt. Und dies war Rom; sie war davon überzeugt, dass sich seine mächtigen Lungen aus Gussgestein und Marmor noch blähten und dass die Stadt sich erholen würde.
    Und als sich Regina dem Kaiserpalast auf dem Palatin näherte, war sie auch nach all dieser Zeit noch beeindruckt.
    Der dreihundert Jahre alte Palast war seit Domitian die Residenz der Kaiser gewesen. Er breitete sich über den gesamten mittleren Teil des Palatin aus, ein Komplex aus mehrstöckigen Gebäuden mit roten Ziegeldächern und vielfarbigen, dekorativen Steinfassaden. Die kaiserliche Residenz selbst hatte angeblich die Ausmaße einer großen Villa, mit Bädern, Bibliotheken und mehreren Tempeln – sogar mit einem privaten Sportstadion –, und

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