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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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sie. Besser für diejenigen, die nach uns kommen. Besser für den Orden… Es fällt mir selbst schwer, es zu verstehen«, sagte sie offen. »Ich folge meinen Instinkten – treffe meine Entscheidungen –, und versuche dann zu verstehen, warum ich tue, was ich tue, und wieso es das Richtige ist… Aber bedenke Folgendes.« Sie schenkte sich ein Glas Wein ein. »Wir sind hier in Sicherheit, und wir sind durch Familienbande vereint. Tatsächlich leben wir auf so engem Raum, dass wir uns nur dank der Familienbande nicht gegenseitig ermorden. Aber Familienbande werden mit der Zeit schwächer. Wie kann ich das verhindern?
    Stell dir vor, dieser Wein wäre das Blut meiner Tochter – mein eigenes Blut, vermischt mit dem eines Hanswursts namens Amator –, er spielt keine Rolle. Brica bringt das Kind zur Welt.« Sie goss etwas von dem Wein in ein zweites Glas und vermischte ihn mit Wasser. »Hier ist Agrippina – zur Hälfte das Blut von Brica, zur Hälfte das ihres Vaters – also nur noch zu einem Viertel meines. Falls Agrippina jedoch ein Kind bekommen sollte« – sie goss die Mischung in ein anderes Glas und verdünnte sie weiter –, »mischt sich Agrippinas Blut mit dem des Vaters und ist nur noch zu einem Achtel meines.« Sie lehnte sich zurück und seufzte. »Das Blut meiner Enkelin ist meinem näher als das meiner Urenkelin. Deshalb will ich mehr Enkelinnen. Verstehst du?«
    »Ja, aber ich…«
    »Wir können diese Krypta nicht verlassen«, fuhr sie ihn an.
    »Wir haben keine Waffen, keine Krieger, die uns beschützen. Und obwohl wir unseren Raum vergrößern, wächst unsere Zahl noch schneller. Wir können nicht zu viele Kinder zugleich durchbringen – wir haben nicht den Platz dafür. Nun…« Sie schob die Gläser vor. »Angenommen, ich muss zwischen einem Kind von Agrippina oder von Brica wählen. Bricas Kind wäre meinem Blut näher, was uns fester miteinander verbände, und wenn Agrippina ihre Mutter unterstützen würde, hätte es vielleicht wirklich eine bessere Chance, die Volljährigkeit zu erreichen. Welches soll ich wählen?«
    Er nickte langsam. »Ja, ich verstehe Eure Logik – Schwestern sind wichtiger als Töchter. Es ist besser, wenn Agrippina weitere Schwestern unterstützt, als wenn sie ihre eigenen Kinder bekommt. Aber das ist eine irrwitzige Logik, Regina.«
    »Irrwitzig?«
    »Für Euch ist es vielleicht besser, sofern man diese Logik des Blutes akzeptiert, vielleicht sogar besser für den Orden – aber nicht für Agrippina.«
    Sie zuckte die Achseln. »Wenn es ihr nicht passt, kann sie jederzeit gehen.«
    »Ihr seid anders als jede Frau, der ich je begegnet bin«, sagte er sanft. »Und erst recht anders als jede Mutter. Und doch behauptet Ihr Euch; das kann ich nicht leugnen.« Er stand auf und begann, auf und ab zu marschieren, die Hand am Heft des Dolches in seinem Gürtel. »Aber ich muss hier heraus«, sagte er. »Der Luftmangel – die Enge – verzeiht mir, Mutter.«
    Sie lächelte und stand auf, um ihn hinauszubringen.

 
31
     
     
    Die Veränderungen in ihrem Körper schienen furchtbar schnell vonstatten zu gehen. Sie ließ fast stündlich Wasser. Ihre Brüste schwollen an und wurden empfindlich. Sie versuchte, ihr normales Leben weiterzuführen – ihren Unterricht und die anschließende Arbeit im scrinium –, doch wenn sie schon vorher aus der Menge herausgeragt hatte, so tat sie es nun wie ein Leuchtturm im Watt.
    Sie saß mit Pina in einem Refektorium. »Vorher haben sie mich ignoriert. Jetzt starren sie mich ständig an.«
    Pina grinste. »Sie reagieren eben auf dich. Eine sehr elementare menschliche Reaktion. Du strahlst, Lucia. Du kannst nichts dagegen machen.«
    »Glaubst du, sie beneiden mich?« Sie sah ihre Freundin an. »Beneidest du mich?«
    In Pinas Gesicht zeichneten sich widerstreitende Gefühle ab. »Ich weiß es nicht. Ich werde niemals in deiner Haut stecken. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das ist.«
    »Ein Teil von dir möchte es aber«, sagte Lucia unverblümt. »Ein Teil von dir würde gern Mutter sein, wie alle Frauen Mütter waren – in primitiven Zeiten.«
    »Aber was wir hier haben, ist besser. Schwestern sind wichtiger als Töchter.«
    »Natürlich«, erwiderte Lucia mechanisch. »Aber ich sag dir was: Falls mich jemand beneidet, kann er mir morgens gern beim Kotzen zusehen.«
    Pina lachte. »Tja, im scrinium kannst du nicht mehr arbeiten.«
    »Nein. Ich lenke alle ab.«
    »Soll ich mit Rosa sprechen? Du solltest weiter zur Schule gehen. Aber

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