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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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oberflächlich.« Sie schnippte mit den Fingern. »Die großen Informationsautobahnen könnten morgen zusammenbrechen, genauso wie die römischen Aquädukte einst zu Ruinen verfielen. Aber die Welt draußen sieht attraktiv aus. Und darum geht es mir. Du glaubst, die Wahl zu haben, ob du in der Krypta bleiben oder dir draußen ein neues Leben suchen sollst. Aber die Wahrheit ist, du hast keine Wahl. Vielleicht musst du das selbst feststellen.«
    Keine Wahl, weil ich anders bin, dachte Lucia. Ich würde nie einen Platz außerhalb der Krypta finden. Und außerdem hält mich etwas für immer hier fest. »Ich kann nicht weg, wegen meinem Kind. Darum lässt du mich hinaus, nicht wahr? Weil du weißt, dass ich zurückkommen muss. Weil ihr mein Baby habt.«
    Ein Anflug von Unsicherheit glitt über Rosas Gesicht. »Es gibt kein ihr und wir – dieses Gespräch war unangebracht. Wir sollten es vergessen.«
    »Ja«, sagte Lucia.
    »Nimm dein Telefon. Geh hinaus und amüsiere dich, solange du kannst. Ich glaube nicht, dass wir noch einmal miteinander reden müssen.« Rosa stand auf; die Besprechung war offenkundig beendet.
     
    Wie sich herausstellte, hatte Rosa Recht. Das war keine Überraschung. Trotz ihrer neuen Freiheit widerstrebte es Lucia zutiefst, die Krypta zu verlassen. Es hätte sich angefühlt, als ließe sie das Baby im Stich, das sich gerade in einer der riesigen Krippen der Krypta die Lunge aus dem Leib schrie, selbst wenn sie es nie wieder sah. Sie nahm ihren Unterricht wieder auf und erwog, weiter im scrinium zu arbeiten. Irgendwann in der Zukunft würde sie wieder hinausgehen, beschloss sie. Aber jetzt noch nicht.
    Zwei Monate nach der Geburt entdeckte sie jedoch weitere Veränderungen in ihrem Körper. Unerwartete und unerwünschte Veränderungen. Sie ging wieder zu Patrizia. Die seltsame Wahrheit bestätigte sich rasch.
    Sie wusste, dass es nun an der Zeit war, nach draußen zu gehen. Wenn nicht jetzt, dann nie. Sie besaß immer noch Daniels Visitenkarte. Sie hatte sie eigentlich nicht bewusst behalten, aber sie war trotzdem da. Sie brauchte nicht lange, um sie zu finden.

 
34
     
     
    In den letzten Tagen versammelten sie sich um ihr Bett. Gesichter schwebten im Halbdunkel des von Kerzenlicht erhellten Raums.
    Leda, Venus, Julia, die hübsche Aemilia und sogar Agrippina waren da. Ovale Gesichter, kräftige Nasen, Augen wie kühler Stein, Augen, die ihren eigenen so sehr ähnelten, als wäre sie von Bruchstücken ihrer selbst umgeben. Und dort hinter ihnen, stumme Zeuginnen ihres Todes wie ihres Lebens, standen die drei matres, ihre lebenslangen Gefährtinnen, das letzte Überbleibsel ihres Zuhauses aus Kinderzeiten.
    Sie machte sich immer noch Sorgen um die Krypta, den Orden. Selbst als die Krankheit um sie emporstieg wie eine blutige Flut, überlegte und kalkulierte sie, zerbrach sich wie besessen den Kopf, dass es etwas geben könnte, was sie übersehen hatte, einen Fehler, den sie nicht aufgespürt hatte. Wenn der Orden bis in alle Ewigkeit überleben sollte, musste er vollkommen sein – denn wie bei einem winzigen Riss in einem marmornen Ladenschild würde die Zeit unausweichlich den geringsten Defekt bloßlegen.
    Wenn sich ein zusammenhängender Gedanke in ihrem Kopf bildete, rief sie eine der Frauen zu sich und bestand darauf, dass sie ihre Worte aufzeichnete.
    Also: »Drei«, flüsterte sie.
    »Drei, Regina?«, fragte Venus leise. »Drei was?«
    »Drei Mütter. Wie die matres. Immer drei Mütter, drei Mutterschöße. Und wenn der Orden wächst, drei mal drei, oder… Drei Mütter. Das ist alles. Und für die anderen: Schwestern sind wichtiger als Töchter – so lautet die Regel.«
    »Ja.«
    »Wenn ein Mutterschoß austrocknet, muss ein anderer seinen Platz einnehmen.«
    »Wir brauchen Regeln. Eine Prozedur für die Nachfolge.«
    »Nein.« Regina packte Venus mit knochigen Fingern am Arm. »Keine Regeln außer der Dreierregel. Sollen sie nach vorn treten und ihre eigenen Regeln machen, ihren eigenen Kampf ausfechten.«
    »Es wird Konflikte geben. Jede Frau will Töchter haben.«
    »Dann sollen sie kämpfen. Die Stärkste wird sich durchsetzen. Das stärkt den Orden…«
    Das Blut musste bewahrt und rein erhalten werden, denn das Blut war die Vergangenheit, und die Vergangenheit war besser als die Zukunft. Schwestern sind wichtiger als Töchter. Das sollten sie sich merken; danach sollten sie sich richten, und alles andere würde sich ergeben.
    Und: »Unwissenheit ist Stärke.«
    Diesmal war Leda

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