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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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geraden Plastikstühlen, reglos wie abgeschaltete Roboter. Es gab nur wenige, unordentlich zusammengestellte und schlecht beschriftete Ausstellungsstücke, weil sich das Museum gerade in einem langen, langsamen Umzugsprozess befand. Lucia fand sie nicht sehr interessant.
    Im Zentrum des Museums entdeckte sie so etwas wie eine Arkade, einen überdachten Säulengang, der um eine kleine Grünfläche herumführte. Hier waren weitere, allesamt unbeschriftete antike Trümmer aufgehäuft worden – Fragmente von Statuen, Stücke von umgestürzten Säulen und zerbrochene Tafeln mit Inschriften, deren riesige Buchstaben von der Größe der Bauwerke kündeten, die sie einmal geschmückt hatten. Einige der Fundstücke hatte man im Garten aufgestellt, wo sie aus dem unordentlichen Grün ragten.
    Es gab keine Sitzgelegenheiten, aber sie stellte fest, dass sie sich auf die niedrige Mauer hocken konnte, die den Garten einfriedete. Sie stellte die Füße auf die kühle Oberfläche der Mauer, lehnte sich mit dem Nacken an eine Säule und verschränkte die Hände über dem Bauch. Ihr Rücken schmerzte, und das Sitzen war eine Erleichterung. Es regnete stetig, aber nicht stark. Der Regen fiel zischend ins Gras und verwandelte den gestreiften Marmor der Bruchstücke in ein goldenes Braun. Es war windstill. Einige Tropfen erreichten sie hier am Rand der Überdachung, aber der Regen war warm, und es störte sie nicht weiter. Es war ein friedlicher Ort, fernab vom Getöse der Stadt, nur sie und der dösende Wärter, die Altertümer und das Geräusch des Regens auf dem Gras.
    Der Zeitpunkt, zu dem sie sich mit Daniel verabredet hatte, kam und ging. Sie wartete eine halbe Stunde, aber er kam nicht.
    Es hörte auf zu regnen. Trüber Sonnenschein brach durch den Smog, den der Regen nicht vertrieben hatte. Mittlerweile beobachtete der Wärter sie argwöhnisch – aber vielleicht lag es auch nur daran, dass er früh schließen wollte.
    Sie schwenkte die Beine von der Mauer und stand auf. Ihr Rücken tat immer noch weh, und ihre Hämorrhoiden juckten komischerweise wie wahnsinnig von dem kühlen Marmor. Sie verließ das Museum und fühlte sich dabei sehr alt.
    Sie kehrte zur Krypta zurück, denn sie konnte nirgends anders hin.
     
    In dieser Nacht und am nächsten Tag versuchte sie mehrmals heimlich, Daniel per Handy zu erreichen, sobald sie ein paar Minuten für sich allein hatte. Aber das Telefon war abgeschaltet, und er antwortete nicht auf die Nachrichten, die sie auf seinem Anrufbeantworter hinterließ.
    Am zweiten Tag versuchte sie, auf weitere Anrufe zu verzichten. Sie hatte Angst, dass sie ihn abschrecken würde. Aber sie war sich fortwährend der Masse des Telefons in ihrer Tasche oder Handtasche bewusst, während sie darauf wartete, dass es klingelte.
    Gegen Mittag verlor sie die Nerven. Sie ging in eine Ecke der Arbeitsräume im scrinium, geschützt von Aktenschränken, und rief ihn erneut an.
    Diesmal nahm er ab. »Hallo?«
    »Ich…« Sie brach ab, holte zweimal tief Luft und versuchte, sich zu beruhigen. »Ich bin’s, Lucia.« Sie spürte ein Zögern. »Du erinnerst dich…«
    »Das Mädchen im Pantheon. O Scheibenkleister! Wir waren verabredet, oder?«
    »Ja. Bei den Thermen.«
    »War das gestern? Tut mir Leid.«
    »Nein«, sagte sie und zwang sich, mit ruhiger Stimme zu sprechen. »Nicht gestern. Vor zwei Tagen.«
    »Du warst da und ich nicht. Tut mir ehrlich Leid. Das kann auch nur mir passieren.« Seine Stimme klang ruhig, weit entfernt und unbesorgt, wenn auch ein wenig verlegen. Eine Stimme aus einer anderen Welt, dachte sie. »Ich möchte es gern wieder gutmachen. Ich lade dich zum Essen ein. Morgen?«
    »Nein«, stieß sie hervor.
    »Nein?«
    »Essen ist mir egal… Treffen wir uns einfach«, sagte sie.
    »Okay. Wie du willst. Ich bin dir was schuldig. Ich möchte nicht, dass du eine schlechte Meinung von mir hast. Wo, bei den Thermen?«
    »Ja.«
    »Ich finde dich.«
    »Heute«, keuchte sie. »Es muss heute sein.«
    Wieder merkte sie, wie er zögerte, und sie verfluchte sich für ihre mangelnde Selbstbeherrschung.
    »Okay«, sagte er langsam. »Ich hab heute Nachmittag eine Weile frei. Ich kann weg. Wir treffen uns dort. So gegen drei?«
    »Einverstanden.«
    »Okay. Ciao…«
    Sie steckte das Telefon ein. Ihr Herz hämmerte, und sie bekam kaum Luft.
     
    Mit einer Entschuldigung verließ sie das Büro und zog einen formlosen, gemusterten Kittel an, der von einem losen Gürtel an der Taille gehalten wurde.
    Sie nahm sich ein

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