Der Orden
sind hier in einer Kirche«, sagte Pina ruhig. »Machen wir keine Szene.« Sie wandte sich an Lucia. »Rosa wartet draußen mit einem Wagen.«
»Wollt ihr sie hier rausschleifen, so wie ihr sie aus diesem Café geschleift habt?«, sagte Daniel ein wenig wild. Lucia sah, dass es ein Schuss ins Blaue war, aber er traf ins Schwarze.
Pina starrte ihn abwägend an. Dann sagte sie: »Ich setze mich, wenn du es auch tust.«
Daniel zögerte, dann nickte er kurz. Sie setzten sich beide hin.
Pina berührte Lucia am Arm, aber Lucia zuckte zurück. »Ach, Lucia. Was sollen wir nur mit dir machen?«
»Wie habt ihr mich diesmal gefunden?«
»Dieser Junge kann nichts für…«
»Wie habt ihr mich gefunden?«
»In deinem Handy ist ein Peilsender. Es war nicht schwer.«
Lucia funkelte sie an. »Ihr habt mich verwanzt?«
»Zu deinem eigenen Besten.« Lucia wollte sich immer noch nicht von ihr berühren lassen, aber Pina beugte sich vor, und Lucia roch den milchigen Kryptageruch in ihren Kleidern. »Komm nach Hause, Schwester.«
»Ich weiß nicht, was hier los ist«, sagte Daniel. »Aber sie geht nirgendwohin, außer mit mir.«
Pina lachte ihm leise ins Gesicht. »Ich glaube, Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen gilt in deiner Heimat als Verbrechen. Willst du herausfinden, wie es hier in Italien ist?«
Es war offenkundig ein Trick, aber er zögerte. »Ich habe sie nicht angefasst.«
»Glaubst du, das spielt eine Rolle?«
Lucia sagte: »Sie wird nicht zur Polizei gehen, Daniel.«
»Woher weißt du das?«
»Weil der Orden das nicht so macht.« Sie holte tief Luft. »Und außerdem würde sie den Polizisten erklären müssen, wie es kommt, dass ich schwanger bin.«
Daniel war verwirrt. »Du meinst, du warst schwanger.«
»Nein. Ich bin schwanger. Wieder.«
Na also, dachte sie. Ich habe es ausgesprochen.
Pina kniff die Lippen zusammen. »Was hast du ihm erzählt, Lucia?«
Daniel starrte sie mit einer Mischung aus Entsetzen und Ungläubigkeit an. »War er das wieder? Dieser Guiliano?«
»Nein. Oder vielmehr…«
Lucia erinnerte sich an ihr Erstaunen, als ihre Menstruation ausgeblieben war, an ihre wachsende Verwirrung über die seltsamen, aber dennoch vertrauten Gefühle in ihrem Bauch. Arglos war sie zu Patrizia gegangen, weil sie sich gefragt hatte, ob sie an irgendeinem postnatalen Symptom litt.
Sie hatte nicht glauben können, was Patrizia ihr erzählt hatte. Aber Patrizia schien damit gerechnet zu haben. Sie holte andere hinzu – Rosa, eine der jüngeren matres, Helferinnen aus den Entbindungsräumen und Kinderkrippen. Sie hatten sich mit feucht glänzendem Lächeln um Lucia versammelt, ihr die Schultern und den Rücken gestreichelt, sie auf Stirn, Wangen und Lippen geküsst und mit ihrem süßen, milchigen Geruch und Geschmack überwältigt. »Es ist ein Wunder«, hatte eine von ihnen Lucia ins Ohr geflüstert. »Ein Wunder…«
»Ein Wunder«, sagte Lucia hitzig zu dem verwirrten Daniel. »So haben sie’s genannt. Ein Wunder. Aber das ist es nicht, stimmt’s, Pina? Denn in der Krypta geschieht es jede Woche, zwei-, drei- oder viermal.«
»Was für ein Wunder?«, fragte Daniel.
»Ich hatte keinen Sex«, sagte Lucia. »Nicht seit der Geburt. Nicht seit Giuliano – und das auch nur einmal, vor meiner ersten Schwangerschaft. Ich hatte keinen Sex, aber ich bin trotzdem schwanger. Und es ist wieder ein Kind von Giuliano, nicht wahr, Pina? Empfängnis ohne Sex«, sagte sie bitter. »Hast du von so was schon mal gehört, Daniel? Gibt es das in Amerika? Nein, natürlich nicht. In der Krypta geschehen Wunder, die es sonst nirgends auf der Welt gibt, da bin ich sicher. Wunder in meinem eigenen Körper«, fuhr sie Pina an. »Aber es ist nicht mehr mein Körper. Habe ich Recht, Pina? Mein Körper, mein Mutterschoß und meine Lenden gehören dem Orden. Meine Zukunft besteht aus Babys – immer mehr Babys. Mein Körper ist nur ein Werkzeug, das so effizient wie möglich für die Zwecke des Ordens eingesetzt werden soll. Und ich, ich zähle gar nichts – meine Wünsche, meine Bedürfnisse, meine Sehnsüchte.«
»Das war doch schon immer so«, sagte Pina sanft.
Daniel starrte erst die eine, dann die andere an. Er war offensichtlich verwirrt und eingeschüchtert. »Ich hab nicht den blassesten Schimmer, was hier los ist. Aber eins sag ich dir, Griselda, wenn du glaubst, dass ich einfach zusehe…«
»Lucia!« Die Stimme war hoch und hallte von den Wänden wider. Rosa kam über den Marmorboden auf sie zu. Sie trug
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