Der Orden
sich um und lächelte.
Im selben Jahr – dem Jahr 476 nach Christus, Reginas Todesjahr – wurde der Kindkaiser Romulus Augustulus von dem germanischen Krieger Odoaker abgesetzt. Es gab nicht einmal einen nominellen Versuch, Ersatz für ihn zu finden. Das Kaisersystem war zusammengebrochen. Odoaker erklärte sich zum König von Italien.
Odoaker war kein Sachse. Er und sein Nachfolger Theoderich befürworteten ein friedliches Zusammenleben. Sie hatten große Ehrfurcht vor der Vergangenheit und setzten auf Kontinuität und Bewahrung. Theoderich erhob eine Steuer auf Wein und restaurierte mit den Einkünften die Kaiserpaläste. Er ließ das Amphitheater instand setzen, nachdem es bei einem Erdbeben beschädigt worden war, und befahl den Straßenwächtern, auf den leisen Glockenklang zu achten, der einen Dieb verriet, wenn dieser einen Arm, ein Bein oder den Kopf einer der abertausend ehernen Statuen der Stadt zu stehlen versuchte.
In der Zeit dieser ersten barbarischen Könige Roms gab es viele Gerüchte über unterirdische Schätze und sogar über reiche Klöster voller schöner Frauen, vielleicht Nonnen, die Gold und Juwelen horteten. Theoderichs Handlanger suchten nach der Wahrheit hinter diesen Legenden und gingen sogar so weit, einige der alten Katakomben an der Via Appia und anderswo aufzubrechen. Aber es wurde nie etwas von Bedeutung gefunden.
DRITTER TEIL
37
Der Da-Vinci-Flughafen liegt ein paar Kilometer südwestlich von Rom. Ich nahm mir ein Taxi ins Stadtzentrum. Der Taxifahrer war vielleicht um die fünfzig, mit einem Gesicht wie braunes, verschrumpeltes Leder. Er schien jedoch guter Dinge zu sein. An seinem Rückspiegel hing eine kleine Holzpuppe, wie ein rot angemalter Pinocchio.
Wir fuhren durch ringförmig angelegte Neubaugebiete. Wie zu erwarten, war der äußerste Gürtel der modernste, eine Kette abgrundtief hässlicher moderner Stadtrandsiedlungen – Hochhausblocks, die selbst die schlimmsten Bausünden von Manchester in den Schatten stellten – und Gewerbegebiete, Kraftwerke und anderer notwendiger, aber unattraktiver Infrastruktur. Plakate warben für britische und amerikanische Spielfilme und Popstars, und Scharen von Kindern liefen in Manchester-United-Trikothemden und mit Yankees-Baseballkappen auf dem Kopf herum. Ich hätte an jedem anderen Ort der Welt sein können.
Innerhalb dieses Betongürtels befand sich jedoch eine hübschere Zone aus Wohnblocks mit engen Straßen und kleinen begrünten Plätzen. Sie sah aus, als wäre sie im neunzehnten Jahrhundert entstanden. Hier kam der Verkehr zum Erliegen. Mein Fahrer arbeitete sich langsam voran, hupend, vor sich hin schimpfend und gestikulierend.
Jetzt waren wir den Menschen nahe, Fußgängern, die sich durch die engen Straßen zwängten, Mopeds, die um uns herumratterten. Die Römer wirkten klein, dunkelhaarig, rundlich und ein wenig vergrämt. Überall waren Schmutz und Abfall. Augenscheinlich hatten die Römer ihre Stadt in einem gewaltigen Anfall von Enthusiasmus aufgeräumt, um das Jahr 2000 zu begrüßen. Falls das stimmte, hätte ich nicht 1999 kommen mögen. Die Fensterreihen der Wohnblocks waren mit Läden verschlossen, die Häuser in verblüffend leuchtenden Farben gestrichen, Gelb, Orange, Purpurrot, sogar Rosa. Es sah nicht britisch aus – im Regen von London oder Birmingham wirken solche Farben nicht so gut –, aber ich hätte trotzdem in irgendeiner beliebigen großen europäischen Stadt sein können, dachte ich, in Paris oder Brüssel.
Dann erreichten wir jedoch die aurelianische Mauer. »Mura, mura«, sagte der Taxifahrer und zeigte darauf. Es war ein Backsteinberg, der hoch über die Straße aufragte, dunkel, brütend, mächtig, und die Autos krochen wie winzige Blechspielzeuge um seinen Fuß herum. Schon dieser erste Brocken hätte sämtliche Mauerfragmente in sich aufnehmen können, die ich in London gesehen hatte, dachte ich ehrfürchtig.
An der mura prangten Graffiti zwischen Werbung für kitschigen Pop und politischen Plakaten. Ich konnte kein Italienisch, verstand jedoch, dass es bei den Parolen um Einwanderer und Verbrechen ging. Die Graffiti waren überall, an jeder Wand und jedem Hauseingang, jedem Laternenpfahl und jeder Bushaltestelle. Kein Zeichen für eine zufriedene Gesellschaft.
Ich hatte vierundzwanzig Stunden Zeit bis zu meiner Verabredung mit Claudio Nervi, dem zahmen Jesuiten, dessen Namen ich Gina entlockt hatte; dann würde die Suche nach meiner Schwester von neuem
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