Der Orden
Flasche Wasser zu kaufen.
Mein Bild von den Römern nahm rasch Gestalt an. Klein und dunkel waren sie, und sie redeten allesamt ununterbrochen. Obendrein waren sie heißblütig: Ich gelangte zu dem Schluss, dass der typische römische Ton der von Menschen war, die gekränkt irgendetwas darlegten und kurz davor waren zu platzen. Alle schienen ein fest am Ohr verankertes Handy zu besitzen, ihre Augen – selbst die ganz kleiner Kinder – blickten fast die ganze Zeit glasig, und ihre freien Hände gestikulierten ebenso beredt wie vergeblich. Man hätte meinen können, das Handy wäre für die Italiener erfunden worden.
Die Denkmäler schienen mitten am Tag für eine Siesta zu schließen, die Postfilialen schlossen um eins, die Banken waren nachmittags vielleicht eine Stunde geöffnet, wenn man Glück hatte, und am Montag war alles zu. Der Xenophobiker in mir fragte sich, wie ich mich als Deutscher oder Franzose fühlen würde, als Reisegefährte beim großen Abenteuer der europäischen Einheitswährung. Dennoch wusste ich, dass die italienische Wirtschaft stark und gesund war.
Ähnlich wie beim Verkehr wurde die Arbeit irgendwie erledigt, und alles regelte sich von selbst.
Die jesuitische Mutterkirche heißt Il Gesu und liegt nur einen Block von der Piazza Venezia entfernt. Claudio Nervi wartete draußen auf dem Bürgersteig auf mich. »Sagen Sie Claudio zu mir«, bat er und gab mir die Hand, nachdem ich ihn mit »Pater« begrüßt hatte.
Nervi war um die fünfzig, mit ordentlich gekämmtem, silbergrauem Haar und blauen Augen in einem schmalen, tief gebräunten Gesicht. Sein angenehmes Äußeres erinnerte an einen alternden Patrizier. Er trug einen schwarzen Anzug mit dem vorschriftsmäßigen weißen Priesterkragen, aber der Anzug war verdächtig gut geschnitten, und ich fragte mich, ob er wohl von einem Edeldesigner stammte. Der Pater wirkte gelassen und selbstbewusst und machte einen intelligenten Eindruck.
»Nun denn.« Er streckte seine langen Arme aus. »Willkommen in Rom. Ich freue mich, Sie kennen zu lernen. Hoffentlich kann ich Ihnen bei Ihrem Problem behilflich sein.«
Ich dankte ihm. »Ihr Englisch ist gut.« Das war es auch, mit jenem Tonfall der oberen Zehntausend, den man so gut aus Noel-Coward-Filmen kennt und den heutzutage kein Engländer in der Öffentlichkeit zu benutzen wagt.
Er lächelte. »Ich habe ein paar Jahre in einem Seminar in der Nähe von Oxford studiert. Sagen Sie, sind Sie in Eile? Oder möchten Sie sich vielleicht die Kirche ansehen?«
Ich folgte ihm ins Halbdunkel von Il Gesu.
Ein Hand voll Kirchgänger – alte Leute – saßen geduldig in den Bankreihen. Die Kirche war prächtig geschmückt, wie viele römische Kirchen, mit einem üppigen barocken Gemälde an einer Wand.
Auf einem Seitenaltar war jedoch ein menschlicher Arm zu sehen.
Zuerst glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen. Ich trat näher heran. Auf dem Altar stand ein Reliquienschrein, ein kunstvolles, ovales Kästchen aus Gold und Kristallglas, neben dem ein Engel schwebte. Und in dem Kästchen lag tatsächlich ein vom Ellbogengelenk abwärts heiler menschlicher Arm. An den Knochen klebten sogar noch schwarze, verschrumpelte Hautfetzen.
»Viele Besucher sind überwältigt vom Reichtum der römischen Kirchen«, sagte Claudio mit leiser Stimme. »Wohin man auch schaut, überall wird das Auge von wahren Schätzen geblendet. Aber sie sind schließlich auch das Ergebnis von zwei Jahrtausenden zielstrebiger Anhäufung von Reichtum – man kann es nicht anders sagen –, obwohl der Vatikan heute nicht übermäßig begütert ist; so besitzt er beispielsweise weniger als viele der größeren amerikanischen Diözesen… Oh. Ich sehe, Sie haben schon Bekanntschaft mit unserem Helden gemacht.«
Wie sich herausstellte, handelte es sich bei dem Arm um einen sterblichen Überrest des heiligen Franz Xaver, der im sechzehnten Jahrhundert als jesuitischer Missionar in Indien und Japan gewesen war. Er war auf einer Insel vor der chinesischen Küste dem Fieber erlegen und dort begraben worden. Der Jesuiten-General in Rom hatte angeordnet, den Leichnam zu exhumieren und auf Goa erneut zu bestatten – und den rechten Arm am Ellbogen abzutrennen, um ihn in Rom als Reliquie aufzubewahren.
Mich überlief es kalt. »Die katholische Kirche war schon immer ganz groß in Reliquien.«
»Das ist natürlich alles ziemlich primitiv. Aber solche Dinge sorgen dafür, dass die Religion im öffentlichen Bewusstsein präsent bleibt. Und
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