Der Orden
einmal enthalten hatten.
»Die obersten Ebenen sind die ältesten«, sagte sie. »Das ist durchaus vernünftig, wenn man darüber nachdenkt. Sie haben sich einfach immer tiefer hinuntergegraben. Sie haben Familiengruften angelegt, so genannte cubicula, und diese Nischen heißen loculi.«
»Nischen für die Leichen«, sagte ich mit heiserer Kehle.
»Ja. In Leintücher gewickelt, vielleicht auch einbalsamiert. Selbst Päpste wurden in den Katakomben beigesetzt. Viele Gräber sind jedoch in späteren Jahrhunderten geplündert worden. Die Knochen wurden von Grabschändern oder Reliquiensuchern gestohlen oder umgebettet. In den letzten paar hundert Jahren hat man aber noch einige unberührte Gräber entdeckt – vielleicht sind hier noch mehr zu finden. Die Gangsysteme allein in dieser Katakombe sind insgesamt vierundzwanzig Kilometer lang, George, auf vier Ebenen. Und man schätzt, dass in allen Katakomben zusammen über die Jahrhunderte hinweg rund eine halbe Million Menschen bestattet wurden.«
Wie so viele mit dem alten Rom verbundene Zahlen war auch diese erstaunlich und unglaublich.
»Schau.« Sie zeigte auf kaum noch sichtbare, aufgemalte Symbole an den Wänden. Wie sich herausstellte, wurde die Beleuchtung zum Schutz dieser Malereien gedämpft. »Geheime christliche Symbole aus der Zeit der Unterdrückung und Verfolgung. Den Fisch kennst du bestimmt. Die Taube und dieser Olivenzweig hier symbolisieren den Frieden. Der Anker ist ein Zeichen der Wiederauferstehung. Oh, hier ist das berühmte Christogramm, das aus Chi und Rho, den ersten beiden griechischen Buchstaben des Namens Christi besteht.« Es sah aus, als hätte man die Buchstaben P und X übereinander geschrieben. »Und hier…« Eingemeißelt über einem der loculi, ähnelte es dem schlichten Fischsymbol, aber es waren zwei Fische, die sich Maul an Maul berührten, sodass es fast wie ein Unendlichkeitszeichen aussah.
»Was ist das?«
»Das Symbol des Ordens.« Ich erkannte es von meiner Internetsuche wieder. Rosa musterte mich. »Wie fühlst du dich?«
»Wie auf einem kleinen Horrortrip. Schließlich bin ich in einem zweitausend Jahre alten Friedhof.«
»Macht es dir nichts aus, so eingeschlossen zu sein? Die dicht beieinander stehenden Wände, die Tiefe – löst das bei dir keine klaustrophobischen Anwandlungen aus?«
Ich dachte darüber nach. »Nein.«
»Und wenn ich dir sagen würde, dass ich dir noch mehr zu zeigen habe – dass wir noch viel tiefer hinuntergehen?«
»Soll das eine Art Prüfung sein, Rosa?«
»Ja, ich glaube schon. Etwas an unserem Gespräch im Café… Du hast bisher gut reagiert, und ich denke, du bist bereit, noch mehr zu sehen.« Sie streckte die Hand aus. »Kommst du mit? Du kannst jederzeit wieder gehen, wann immer du willst.«
Mittlerweile misstraute ich ihren offensichtlich kalkulierten Berührungen und den überwältigenden Gefühlen, die sie in mir auslösten. Aber ich nahm erneut ihre Hand. »Was kommt als Nächstes – Sesam öffne dich?«
»So was Ähnliches.«
Wir standen vor einer harmlos aussehenden Nische, die so leer war wie die anderen. Über ihr war das Symbol der zwei Fische eingeritzt. Nun brachte Rosa zu meiner Überraschung eine Kennkarte zum Vorschein und steckte sie in einen verborgenen Schlitz im Gestein, oben hinter den Fischen. Ich sah ein rotes Licht und hörte das unerwartete Summen elektronischer Geräte.
Und dann öffnete sich mit einem steinernen Knirschen eine Art Falltür unter mir – und helles Licht erfüllte die staubige Luft. Ich beugte mich vor und schaute hinunter. Dort war eine weitere Treppe, diesmal jedoch aus poliertem Metall, und sie führte zu einem Fußboden mit glänzenden Fliesen hinab.
Dort unten war ein kompletter Raum – ein modernes Büro. Mein Blick fiel auf einen Tresen, hinter dem ein Mädchen in einem weißen Kittel saß, das zu uns heraufschaute. Grelles Neonlicht fiel heraus, grauweiß, aber blendend hell nach der Düsternis der Katakombe. Ich war erstaunt, ja geradezu überwältigt. Es war das Letzte, was ich hier zu sehen erwartet hätte; es fiel mir schwer zu glauben, dass es real war.
Rosa grinste. »Willkommen in meinem unterirdischen Nest, Austin Powers.«
»Sehr witzig«, raunzte ich.
»Ach, nun mach nicht so ein Gesicht.« Sie drehte sich um und stieg hinunter. Ich folgte ihr.
Und so betrat ich zum ersten Mal die Krypta.
Die Empfangsdame saß hinter ihrem großen Marmortresen und lächelte uns an. Ich erspähte eine blinkende Bank kleiner
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