Der Orden
Fernsehmonitore hinter der Oberfläche des Tresens, und eine rotäugige Kamera blickte mich von einer Wand herab direkt an. Es war alles ganz normal, helles elektrisches Licht, und jedenfalls nicht so kühl wie in den Katakomben. Aber es gab natürlich kein Tageslicht, nicht das Geringste; das rief mir ins Gedächtnis, wie tief ich mich unter der Erde befand.
»Wir benutzen diesen Eingang nicht oft«, sagte Rosa. »Es gibt viele Zugänge aus unseren Läden und Büros an der Oberfläche – die meisten in den Vororten westlich der Via Appia –, und wir haben auch ein paar Routen, die ins Stadtzentrum führen. Aber ich wollte dich auf diesem Weg herbringen. Es ist der älteste.« Sie lächelte beinahe spitzbübisch. »Ich wollte dir wohl eine kleine Show bieten… ist alles in Ordnung mit dir?«
Ich hatte schlicht und einfach keine Ahnung, was mich erwartete. »Ich war noch nie in einem Kloster«, sagte ich.
»Das bist du auch jetzt nicht. Komm.«
Wir gingen zur Wand des Vorzimmers. Automatiktüren glitten beiseite. Wir betraten einen Gang, der genauso hell erleuchtet war wie das Vorzimmer.
Der Gang krümmte sich außer Sicht. Zum ersten Mal bekam ich einen Eindruck davon, wie groß dieses Höhlensystem wirklich war – jedenfalls verdammt viel größer als das Vorzimmer.
Und der Gang war voller Menschen: eine gewaltige, leise brabbelnde Menge, tief unter der Erdoberfläche.
Es mussten hunderte sein, schon allein auf diesen ersten Blick. In diesem Gang herrschte ein genauso dichter Fußgängerverkehr wie an einem Sommersamstag am Oxford Circus oder zu Silvester am Times Square. Die meisten waren Frauen, viele in Straßenkleidung, einige jedoch auch in einer Art Uniform, einem weißes Dress oder Hosenanzug mit eingenähten Purpurfäden. Sie gingen in ordentlichen Reihen und betraten und verließen die vom Gang abzweigenden Räume.
Dann war da der Geruch: nicht unangenehm, kein Umkleideraumgestank, sondern etwas Animalisches, Potentes. Die Luft war warm, feucht und voller Geräusche; ich merkte, dass ich schwer atmete und nach Luft rang.
All dies tief unter der Erde verborgen, unter dieser schläfrigen Touristenfalle von einem Park.
Niemand schien daran irgendetwas seltsam zu finden, niemand außer mir. Ich schaffte es mit knapper Not, nicht in die relative Ruhe des Vorzimmers zurückzutaumeln.
Rosa beugte sich zu mir. »Lass es nicht zu nah an dich heran. Ich weiß, wie du dich fühlst. Aber hier ist es immer so. Komm.«
Sie fasste mich an der Hand und zog mich vorwärts, und wir wateten in die Menschenströme hinein.
Auf einmal war ich von lauter jungen, meist lächelnden Gesichtern umringt, von denen nur wenige Neugier auf diesen großen, schwitzenden Engländer zeigten, den es mitten unter sie verschlagen hatte. Sie schienen alle miteinander zu reden, und das Stimmengewirr schlug wie ein Windstoß auf mich ein. Aber sie teilten sich um uns und nahmen uns in den Strom auf.
Wir kamen an Büros mit Schreibtischen und abgeteilten Arbeitsnischen, Topfpflanzen und Kaffeemaschinen vorbei. Sie wirkten alle völlig profan, wenn auch überfüllt und laut im Vergleich zu den meisten Büros, die ich kannte, fast so überfüllt wie die Korridore. Mancherorts hing das Unendlichkeitssymbol des Ordens an der marmornen Wand, küssende Fische, aus Chromstreifen gefertigt. Corporate Identity wurde hier groß geschrieben.
In viele Wände waren Leitsätze eingraviert – manchmal primitiv, von Hand, dann wieder professioneller. Sie waren in Latein, was ich nicht lesen kann. Ich versuchte, sie mir zu merken, weil ich Peter später nach ihnen fragen wollte; es schienen drei Schlüsselsätze zu sein.
Rosa erklärte, die Räume hätten je nach Größe unterschiedliche Bezeichnungen in der eigentümlichen Sprache des Ordens – im Grunde modernes Italienisch, wie ich später erfuhr, aber versetzt mit Begriffen, die aus dem Lateinischen und anderen mir unbekannten Quellen abgeleitet waren. Diese Bezeichnungen schienen makabre Scherze zu sein, eine Erinnerung an den Ursprung der Krypta. Die größten Gewölbe wurden cubicula genannt, wie die Familiengräber in den Katakomben, die nächst kleineren arcosolia, wie die großen Gräber der Reichen und der Päpste, und die kleinsten hießen loculi, wie die einsamen Nischengräber der Armen.
Es gab jedoch nur wenige loculi, wie ich erfahren sollte, denn die Ordensmitglieder waren niemals allein: je größer der Raum und je mehr Menschen darin, umso besser.
Je tiefer wir vordrangen,
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