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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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mit der biologischen Fremdartigkeit, die mir dort begegnet war, die ich jedoch nicht einmal Peter hatte vermitteln können. Wenn ich das alles enträtseln wollte, würde ich mich mit Lucia befassen müssen. Und außerdem – ich sah Lucias Gesicht vor mir: so blass, solch tiefe Schatten um die Augen. Sie war noch ein Kind. Mir war klar, dass sie wirklich in großen Schwierigkeiten steckte, und ich verspürte den instinktiven Wunsch, ihr zu helfen. Peters eigentümliches Verhalten – die Heimlichtuerei, die er seit seiner Ankunft in Rom an den Tag gelegt hatte, seine nebulösen Bemerkungen über dunkle Materie und dergleichen – komplizierte die Dinge nur. Aber im Grunde änderte es nichts.
    »Nein. Ich steige nicht aus«, sagte ich mit fester Stimme. »Simple humanitäre Gründe, Peter.«
    Er lachte humorlos. »Ich glaube nicht, dass irgendetwas an dieser Situation simpel ist.« Er blickte sich um. »Ich muss ins Internet. Mal sehen, ob es hier einen Hotspot oder vielleicht einen Telefonanschluss gibt. Und ich könnte einen Kaffee vertragen«, rief er über die Schulter hinweg, während er den Laptop aus seiner Tasche holte.
    Ich ging zu Daniel. »Du marschierst auf und ab wie ein werdender Vater.«
    Er sah mich missmutig an. »Schlechter Scherz.«
    »Ja. Tut mir Leid. Sag mal, hast du Kleingeld?«
    Im Flur fanden wir eine Maschine, die Styroporbecher mit Kaffee im Starbucks-Format ausspuckte, wenn man sie mit Euromünzen und -scheinen fütterte. Wir gingen zu Peter zurück, der sich auf einen Stuhl in der Ecke verzogen hatte und Daniels illegal kopierte Krankenakte von der Diskette lud. Er nahm den Kaffee entgegen, ohne aufzublicken, öffnete die kleine Trinkklappe im Plastikdeckel und trank einen Schluck, ohne die Arbeit an seiner Tastatur zu unterbrechen.
    »Der Mann ist ein Profi«, sagte ich zu Daniel.
    »Ja.«
    Wir setzten uns. Daniel war voller nervöser Energie. Er trommelte mit den Fingern auf die Armlehnen seines Stuhls, und seine Beine zuckten in winzigen, heftigen Bewegungen auf und ab, als ob er kurz davor wäre, die Flucht zu ergreifen.
    »Ich nehme an, du hast noch nicht viel Erfahrung mit Krankenhäusern«, sagte ich.
    »Nein. Sie?«
    »Na ja…«
    »Haben Sie Kinder?«
    »Nein, habe ich nicht«, gab ich zu.
    Er wandte sich ab. »Wissen Sie, es ist nicht das Krankenhaus, was mich beunruhigt. Ich habe sogar gern Menschen um mich, die Englisch sprechen, oder wenigstens Italiener mit amerikanischem Akzent.«
    »Der Orden? Hast du davor Angst?«
    »Verdammt richtig.«
    »Hier kann er niemandem etwas tun.« Ich zeigte auf einen muskulösen Wachmann, der an der Tür stand, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. »Lucia passiert schon nichts. Hier ist sie in den besten Händen…« Und so weiter.
    »Ja.« Er klang nicht überzeugt.
    Die typische Reaktion eines Erwachsenen gegenüber einem Kind kam mir in den Sinn. Ja, es wird alles wieder gut, sie kommt bestimmt heil aus der Sache heraus, wir können alle nach Hause gehen. Aber ich fand, dass ich ihm mehr Respekt schuldete. »Um ehrlich zu sein, ich verstehe nicht, was hier vorgeht, Daniel. Du weißt mehr als ich. Und ich habe keine Ahnung, ob sie heil aus der Sache herauskommt.« Ich verspürte eine Aufwallung von Zorn. »Ich weiß nicht mal, was ›heil‹ bei einem sechzehnjährigen Mädchen bedeutet, das bald das zweite Kind von einem Kerl bekommt, dessen Namen sie nicht mal kennt.«
    »Die hatten kein Recht dazu«, sagte er.
    »Nein. Wer immer die sind.«
    »Ich müsste in der Schule sein.« Er spreizte die Hände. »Was mache ich eigentlich hier?«
    »Hör zu – du hast das Richtige getan«, sagte ich unbeholfen. »Ich habe ein ruhiges Leben geführt. Was weiß ich, wie man mit solchen Situationen fertig wird? Du hast gesehen, dass ein Mädchen in Schwierigkeiten war – ein Mensch –, und du hast menschlich reagiert. Deine Eltern werden stolz auf dich sein.«
    Er schnitt eine Grimasse. »Da kennen Sie meine Eltern schlecht. Wenn die das rauskriegen, bin ich erledigt.«
    Eine junge Ärztin kam auf uns zu. Sie war ungefähr dreißig, klein, energisch, kompetent, mit strenger Frisur. Sie hatte einen gelben Notizblock dabei.
    Lucia gehe es gut, sagte die Ärztin auf Englisch, mit starkem Akzent. Sie befinde sich im Endstadium der Schwangerschaft, und es sei möglich, dass bald die Wehen einsetzen würden. Bei diesen Worten schaute die Ärztin jedoch ein wenig verwirrt drein, und ich merkte, dass sie uns etwas vorenthielt. Nun, sie hatten bloß

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