Der Orden
vollkommenem Gesicht und dem hellen Schatten ihres schlanken Körpers verspürt.
Am nächsten Tag eilte er lange vor der Mittagszeit zum Kolosseum.
Edmund musste eine Einsiedelei durchqueren, als er den gewaltigen Krater aus Marmor und Stein mit seinen stummen, runden Sitzreihen betrat. Schäbige Hütten aus Lehm und erbeutetem Backstein duckten sich in den Schutz der Bogengänge, wo früher einmal Senatoren flaniert waren; unten in der Arena grasten Tiere unter hohen Bäumen.
Es gab keine kleine Reihe von Holzkohleherden, keine Frauen in weißen Gewändern, keinen feuchten Geruch von gekochtem Kohl, der mit dem Gestank des Dungs wetteiferte. Allerdings waren Bettler da, die lustlos umherwanderten. Die Enttäuschung in ihren Gesichtern – auch wenn sie durch die schmutzigen Elendsmasken schwer zu erkennen war – spiegelte seine eigene. Keiner von ihnen konnte seine Fragen nach Minerva und den Jungfrauen beantworten.
Eine Woche lang durchkämmte er die Stadt. Aber er fand keine Spur von den Jungfrauen, und auch niemanden, der etwas über sie wusste. Es schien, als wären sie einfach verschwunden, so unbeständig wie der vom Tiber aufsteigende Nebel.
45
Als Peter und ich herauszufinden versuchten, was im Krankenhaus mit Lucia passiert war, kamen wir sehr schnell nicht mehr weiter.
Wir stellten fest, dass eine Frau namens Pina Natalini mit einem kleinen, privaten Krankenwagen gekommen war, um die erforderlichen Unterschriften zu leisten und Lucia mitzunehmen; sie hatte gültige, unterschriebene Atteste eines Hausarztes vorgezeigt. Lucia selbst hatte die Klinik anscheinend verlassen wollen und behauptet, Pina sei ihre Cousine. Es war alles korrekt, und ich hatte keinen Grund anzunehmen, dass das Personal des amerikanischen Krankenhauses irgendwelche Lügengeschichten über die Vorgänge erzählte.
Sicherlich war es nicht die ganze Wahrheit. Ich hatte keine Ahnung, wie viel Macht diese Pina und ihre Begleiter – vielleicht sogar Rosa – angesichts Lucias fragiler seelischer Verfassung über sie gehabt hatten.
Aber was konnten wir tun? Für das Krankenhauspersonal – und auch in meinen eigenen Augen – hatten Peter, Daniel und ich keinen Anspruch auf das Mädchen. Wir kannten sie kaum.
Daniel fiel es schwer, das zu akzeptieren. Er wich uns nicht von der Seite und drängte uns, etwas zu unternehmen. Vielleicht muss man so sein, wenn man jung ist – man muss glauben, dass man den beschissenen Zustand der Welt verändern kann, sonst würden wir uns wohl alle die Pulsadern aufschneiden, bevor wir volljährig sind. Aber er ging uns in zunehmendem Maße auf die Nerven. Am Ende entlockte ich ihm die Telefonnummer seines Vaters und ließ ihn abholen und in die Schule zurückschicken. Es war ein mieser Trick, aber ich war überzeugt, dass es zu seinem Besten war.
Damit blieb nur noch Peter übrig, der ebenfalls nicht akzeptieren wollte, dass wir nicht weiterkamen. Seine Motive – und ich wusste immer noch nicht genau, worin sie bestanden – waren im Gegensatz zu denen von Daniel jedoch unklar, zunehmend kompliziert und verwirrend. Ich hatte sogar das Gefühl, dass er anfing, die Geheimnisse des Ordens in sein umfassenderes Weltbild einzubauen. Das passte mir ganz und gar nicht. Dies war meine Sache – meine Schwester –, und ich wollte keine weitere Nebenepisode in seiner Paranoia werden.
Allerdings hatte er meiner Ansicht nach Recht damit, dass ich noch einmal in die Krypta zurückkehren sollte. Ganz abgesehen von Lucia war die Geschichte mit Rosa schließlich noch nicht abgeschlossen.
Aber ich hatte Angst. Nicht vor der Krypta oder vor Rosa, nicht einmal vor der Angelegenheit mit Lucia. Ich hatte Angst vor mir selbst. Ich fand die Erinnerung daran, wie ich auf die Krypta reagiert hatte, immer beunruhigender, je länger ich darüber nachdachte. Deshalb schob ich den Besuch hinaus und versuchte, ein wenig seelische Kraft zu sammeln.
Während ich auf Zeit spielte, begann Peter mit neuen Nachforschungen. Er versuchte, Zugang zum Geheimarchiv des Vatikans zu bekommen, um etwas über die komplizierte Geschichte des Ordens zwischen Reginas Tagen und der Gegenwart herauszufinden.
Anfangs zog er nur Nieten. Als er einen Zugangsausweis fürs Archiv beantragte, holten die Beamten des Vatikans umfangreiche Erkundigungen bei den Personen ein, mit denen wir beide in letzter Zeit über den Orden gesprochen hatten, darunter die Direktorin von Rosas alter Schule und sogar meine Schwester in den Staaten. Die
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