Der Orden
vieles verändert haben würde. Bei seinem ersten Besuch hatten der Triumph des Risorgimento und die Vereinigung Italiens unter Viktor Emanuel II. erst drei Jahre zurückgelegen. Nun war Rom die Hauptstadt des neuen Italien. Unter Pooles alten Freunden herrschte große Aufregung über diese Entwicklungen, und sie waren neidisch auf ihn, denn er kam in ein Rom, das zum ersten Mal seit eintausendvierhundert Jahren von der Herrschaft der Päpste befreit war.
Poole war jedoch enttäuscht von dem, was er vorfand.
Selbst jetzt schienen die politischen und technologischen Veränderungen in Rom keine Spuren hinterlassen zu haben. Mit ihren uralten Mauern ähnelte die Stadt noch immer einem riesigen, ummauerten Gehöft. Zu seiner Überraschung sah er, wie Rinder und Ziegen durch die Straßen der Stadt getrieben wurden und Schweine in der Nähe der Porta del Popolo nach Eicheln schnüffelten. Die Quellen des Reichtums waren nach wie vor Landwirtschaft und Besucher, Pilger und Touristen; es gab keine Industrie, keine Börse.
Aber es gab Veränderungen. Er sah ein Regiment von bersaglieri, die in ihren kunstvollen Operettenstatisten-Uniformen durch die Straßen trabten. Die Geistlichen traten weitaus weniger in Erscheinung, obwohl man hin und wieder die Kutschen der Kardinale sah, schwarz lackiert, als trauerten sie. Er erhaschte sogar einen Blick auf den König, einen unglaublich hässlichen Mann, der in seiner eigenen Kutsche vorbeifuhr. Er stellte fest, dass der König viel beliebter war, als es der Papst je gewesen war, wenn auch nur wegen seiner Familie; schließlich hatte seit dem Mittelalter kein Papst mehr einen Enkelsohn vorweisen können!
Nachdem Poole einen Tag lang herumgewandert war, traf er sich mit Luigi Frangipani. Sie unternahmen einen Spaziergang durch den Korkeichenwald auf dem Monte Mario.
Frangipani umriss in groben Zügen, weshalb er an Poole herangetreten war. »In Rom gibt es viele Spannungen«, sagte er auf Englisch, mit leichtem Akzent. »Es ist eine Frage der Zeit, wissen Sie, der Geschichte. Rom ist eine Stadt der großen Familien.«
»Wie der Ihren«, meinte Poole höflich.
»Einige sind bereit, den König als ihren Souverän zu akzeptieren. Andere werden durch ihre Loyalität zum Papst daran gehindert. Sie müssen wissen, dass manche der Familien von Päpsten abstammen! Noch andere sind erst in jüngerer Zeit zu Reichtum gekommen, zum Beispiel durch Bankgeschäfte, und haben einen ganz anderen Blick auf die Entwicklungen…«
Für Poole klang dieses ganze Gerede über Familien und Traditionen mittelalterlich – sehr unbritisch –, und ihn befiel ein seltsam klaustrophobisches Gefühl. »Und was wollen Sie von mir?«
Sie blieben bei einer Holzbank stehen, und Frangipani brachte einen kleinen Stadtplan von Rom zum Vorschein.
»Da uns Frangipanis der Reichtum mancher anderen Familien fehlt, sind wir nicht so konservativ; wir müssen in die Zukunft schauen. Rom ist viele Male besetzt worden. Doch nun, wo es die Hauptstadt ist, ist eine neue Invasion im Gange, eine Invasion durch ein Bürokratenheer. Die Kommunalverwaltung ist um vierzigtausend Räume für diese Flut von Beamten gebeten worden, konnte jedoch nur fünfhundert zur Verfügung stellen. Die Regierung hat bereits mehrere Klöster und Paläste requiriert, um ihre Ministerien darin unterzubringen. Es werden jedoch noch weit mehr Unterkünfte benötigt.
Hier bietet sich also eine Gelegenheit. Es wird mit Sicherheit einen Bauboom geben – und dafür gibt es jede Menge Platz in Rom. Wir glauben, dass die ersten Siedlungen hier« – er zeigte auf seinen Stadtplan – »zwischen der Stazione Termini und dem Quirinal und später vielleicht dort, hinter dem Kolosseum, entstehen werden.«
Poole nickte. »Sie kaufen Bauerwartungsland. Und Sie möchten, dass ich die Erschließung übernehme.«
Frangipani zuckte die Achseln. »Sie sind Ingenieur. Sie wissen, was erforderlich ist.« Er schlug vor, Poole solle die voraussichtlichen Käufe überwachen und im Anschluss daran alle Bauprojekte leiten. »Es gibt so viel zu tun. Während ihrer tausendjährigen Herrschaft haben die Päpste zwar für ihre persönliche Bequemlichkeit gesorgt, aber kaum etwas für die Erhaltung der Bausubstanz der Stadt getan – was etwa solch weltliche Dinge wie das Entwässerungssystem betrifft. Jedes Mal, wenn der Tiber Hochwasser führt, wird die Altstadt überschwemmt, und die Felder außerhalb der Mauern verwandeln sich in einen Malariasumpf – nun, die
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