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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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sich genommen – Salat, pochierten Fisch, Käse und Obst, abgerundet von der Eiskrem, von der die Römer anscheinend nicht genug bekommen konnten. Er sah jedoch, dass diese Kohlkocher bescheidenere kulinarische Ambitionen hatten und dass die abgerissenen Gestalten, die sich um die Herde drängten, die Ärmsten der Armen waren.
    Zuerst hielt er die Frauen an den Herden wegen ihrer schlichten weißen Gewänder mit dem eingewebten dünnen Purpurstreifen für Nonnen. Aber sie trugen weder Schleier noch Hauben, und ihm fiel auf, dass sie alle jung waren und sich ziemlich ähnelten, fast wie Schwestern – und blass waren sie, als hätten sie dicke Theaterschminke aufgelegt.
    In diesem Augenblick sah er Minerva.
    Sie war eine der Frauen an der Essensausgabe. Ihre Schönheit raubte ihm schlichtweg den Atem. Ihr kleines, rautenförmiges Gesicht war symmetrisch, ihre Nase gerade und hübsch, ihr Mund voll und kirschrot, und ihre Augen waren grau, wie Fenster zu einem wolkenverhangenen Himmel. Sie glich ihren Gefährtinnen, aber bei ihr hatte die Kombination der Merkmale eine überwältigende Wirkung, wie ein perfektes Blatt bei einem Kartenspiel, dachte er.
    Er hatte das Gefühl, als könnte er sie den ganzen Tag lang betrachten, so sehr bezauberte ihn ihre schlichte Eleganz. Und als sie um den Herd herumkam, fiel das Sonnenlicht zufällig von hinten auf ihr Gewand, und er erhaschte einen Blick von ihrer Figur, die…
    Jemand sprach mit ihm. Überrascht kam er wieder zu sich.
    Eine der Köchinnen stand vor ihm. Sie sah aus wie die Schöne, ja, nicht unattraktiv, nur älter und mit strengerem Gesicht. Aber ihr Mund zuckte belustigt.
    »Verzeihung – wie bitte?«, stammelte er auf Englisch.
    Sie wiederholte in sorgfältigem Italienisch: »Ich habe gefragt, ob Ihr Hunger habt. Der Geruch der Kaidaunen hat Euch offenbar angezogen.«
    »Ich… äh… nein. Ich meine, nein danke. Ich habe nur…«
    »Wir müssen hier unsere Arbeit machen, mein Herr«, sagte sie sanft. »Wichtige Arbeit – lebenswichtig für diejenigen, denen wir dienen. Ich fürchte, Ihr werdet uns ablenken.«
    Und er sah, dass sie in der Tat bemerkt hatte, wie er sie angestarrt hatte. Sie reagierte mit verstohlenen, nervösen Blicken, schaute dann jedoch weg.
    »Ja, sie ist schön«, sagte die ältere Frau trocken. »Sie kann nichts dagegen machen.«
    »Wie heißt sie?«
    »Minerva. Aber sie steht leider nicht auf der Speisekarte. Wenn Ihr mich nun entschuldigen wollt…« Sie drehte sich mit einem letzten, nicht unfreundlichen Blick um und ging zu ihrem Platz an den Herden zurück.
    Edmund konnte nicht einfach so dort stehen bleiben. Außerdem nahmen nun die unglücklichen Armen Notiz von ihm und kicherten. Er ging fort und suchte sich einen Platz, wo er sich hinsetzen und den Frauen bei der Arbeit zusehen konnte. Vielleicht ergab sich später eine Möglichkeit, mit dem Mädchen zu reden.
    Doch als er sich umdrehte, sah er zu seinem Entsetzen, dass sie fort waren, mitsamt ihrer Herde und allem, als hätten sie nie existiert. Die Armen, von denen einige immer noch ihre Portion Kohl und Kaidaunen hinunterschlangen, zerstreuten sich allmählich.
    Er lief zurück und packte einen Mann an der Schulter, ließ aber sofort wieder los, als er schmierigen Dreck unter den Fingern fühlte. »Bitte, guter Mann – die Frauen hier…«
    Der Mann hätte jedes Alter haben können, so schmutzverkrustet war sein Gesicht. Kohlreste klebten in seinem verfilzten Bart. Er wollte nichts sagen, bis Edmund ein paar Münzen hervorholte.
    »Die Jungfrauen, ja.«
    »Woher kommen sie? Wo sind sie hingegangen? Wie kann ich sie finden?«
    »Wen kümmert’s? Ich bin hier, um Kohl zu essen, nicht, um Fragen zu beantworten.« Aber dann setzte er hinzu: »Morgen. Sie kommen zum Kolosseum. Das haben sie uns jedenfalls gesagt.«
     
    An diesem Abend fand Edmund in James’ Gesellschaft keine Ruhe. Ihre übliche Runde über die Piazzas und durch die Tavernen konnte ihn nicht ablenken. Es half auch nicht, dass er einen massigen Gastwirt murmeln hörte, englische Gentlemen auf ihrer Kavaliersreise seien berühmte »milordi pelabili clienti«, leicht zu schröpfende Kunden.
    Für Edmund war die Nacht nur eine Zeit, die er herumbringen musste, bis er Minerva zwischen ihren Herden und Kohlköpfen wiederfinden würde.
    Ein Teil von ihm warnte ihn vor seiner Torheit. Doch obwohl er schon verliebt gewesen war, hatte er noch nie so etwas wie diese überwältigende Sehnsucht beim Anblick von Minervas

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