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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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dieses »Kleinfamilien« mit größter Verachtung aus. »Es lag nicht nur an den finanziellen Problemen… Vater und Mutter haben einen Weg gesehen, einem von uns eine bessere Chance zu geben. Sie wussten, dass diese Möglichkeit existierte. Das konnte nur ich sein – dies ist in erster Linie eine Frauengemeinschaft. Wenn jemand neidisch sein könnte, dann vielleicht Gina, meine Schwester, aber nicht du.«
    Und vielleicht war Gina ja auch neidisch, überlegte ich. Vielleicht lag das ihrer Bitterkeit zugrunde – und ihrer Entscheidung, sich so weit wie irgend möglich von Manchester und ihrer Vergangenheit zu entfernen.
    Aber ich protestierte: »Ich beneide dich nicht. Das ist doch lächerlich. Ich finde nur, dass der Orden einem dauernd in die Quere kommt.«
    »Wobei?« Erneut berührte sie mich am Handgelenk, und ihre Finger bewegten sich im Kreis, eine kurze, zärtliche Massage. »Sieh mal, George – du kannst mich nicht vom Orden trennen. Verstehst du das nicht? Uns gibt’s nur en bloc. Und wenn du ›Kontakt‹ mit mir haben willst, musst du damit zurechtkommen.« Sie stand auf und strich sich die Bluse glatt. »Du bist den ganzen Weg bis nach Rom gekommen, um mich zu retten, stimmt’s? Welch ein Held. Und da du nun erkannt hast, dass ich nicht gerettet werden will, hast du beschlossen, stattdessen die arme Lucia zu retten. Aber meinst du nicht, dass du herausfinden solltest, wovor du uns retten willst?« Sie streckte mir die Hand hin. »Was ist, klebst du am Stuhl fest? Komm mit.«
    Ihr Befehlston, die ausgestreckte Hand – Widerstand war so gut wie unmöglich. Und wir waren seltsamerweise zum Mittelpunkt der Aufmerksamkeit geworden, sie stehend, ich sitzend, eine Art Strudel im unaufhörlichen Menschenstrom. Ich war von Gesichtern umgeben, die mich alle mit einem halben Lächeln ansahen. Der Druck, mit Rosa mitzugehen, war ungemein stark.
    Ich leerte meinen Kaffee, ergriff ihre Hand und stand auf.
    Sie arbeitete natürlich immer noch daran, mich für den Orden zu rekrutieren oder zumindest als Bedrohung zu neutralisieren. Das wusste ich. Sie verfolgte ihre eigenen Ziele. Aber das tat ich mittlerweile auch.
    Wir waren Bruder und Schwester. Wie kaputt wir waren.
     
    Wir nahmen die Treppe und stiegen noch tiefer in die Krypta hinab.
    Das war nicht so einfach, wie es klingt. Die innere Struktur der Anlage war sehr kompliziert, mit lauter Etagen, Trennwänden und kleinen Halbgeschossen, und wir mussten manchmal mehrere hundert Meter von einer Treppe zur nächsten laufen. Alles war in ein perlmuttfarbenes Neonlicht ohne erkennbare Quelle getaucht, und es sah überall gleich aus. Ich wurde in diese und jene Richtung geführt und verlor bald jegliche Orientierung. Aber das war vermutlich beabsichtigt; in der Krypta sollte man nicht wissen, wo man war.
    Trotzdem wurde bald klar, dass wir uns schon unterhalb der Ebene eins befanden, wie ich sie grob bezeichnet hatte, dem obersten Bereich der Krypta mit dem modernsten Erscheinungsbild, wo Schulkinder zielstrebig lernten und die scrinarii inmitten ihrer Computer, Karteikarten und stählernen Bibliotheksregale arbeiteten. Es war eine große Anlage; Ebene eins umfasste mehrere Stockwerke und Halbgeschosse. Jetzt stiegen wir über Stahltreppen ins Herz der darunter liegenden Ebene zwei hinunter, die ich zuvor nur kurz von den Halbgeschossen darüber gesehen hatte.
    Die Möblierung, die Trennwände und Deckenfliesen, die Beleuchtung und andere Ausstattungsgegenstände waren modern, genau wie oben. Trotzdem herrschte hier unten eine andere Atmosphäre. Die Korridore wirkten schmaler, niedriger, einengender und dunkler, während die meisten Räume groß, wenn nicht gar riesig waren – gewaltige, offene cubicula, die jeweils Platz für mehrere hundert Menschen boten. Die Geschäfte des Ordens, wie der Genealogie-Service, wurden auf Ebene eins betrieben; die meisten Räume hier unten dienten elementareren Bedürfnissen. Ich bekam eine riesige, mit modernen Geräten ausgestattete, aber seltsam offen angelegte Klinik zu sehen, einen Speisesaal von der Größe eines Flugzeughangars und Schlafsäle, in denen sich Reihen dicht an dicht stehender Etagenbetten in die Ferne erstreckten.
    Nirgends in der Krypta sah ich einen leeren Raum, auch hier nicht. Die Klinik schien wenige Patienten zu haben, wimmelte jedoch von Aktivität. In einigen Schlafsälen schliefen selbst am späten Vormittag Menschen, vielleicht Nachtschichtarbeiter, die in ihren Etagenbetten steckten wie Reihen von

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