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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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Insektenpuppen in ihren Kokons. Auch die Korridore waren stets voller Menschen, die sich bei der Ausführung ihrer endlosen Aufgaben in die eine oder andere Richtung schoben.
    Sie drängten sich um mich, berührten mich, schoben sich an mir vorbei, lächelten genauso höflich wie oben, und ich sah dieselben Gesichter, das Familiengesicht, wie ich es jetzt innerlich nannte, mit flachen Wangenknochen und hellgrauen Augen. Aber die Bewohner von Ebene zwei sahen doch etwas anders aus. Viele waren sehr blass, und sie schienen überdimensionierte Züge zu haben – große, geblähte Nasenflügel, große Augen, sogar markante Ohren. Sie waren alle gleich groß, kleiner als Rosa oder ich. Von begrenztem Wuchs, damit sie in begrenzten Raum passten, dachte ich beiläufig. Missgeburten waren sie allerdings nicht. Keiner von ihnen hätte auf einer von Roms alten Piazzas deplatziert gewirkt. Aber in dieser Häufung vermittelten sie den Eindruck einer subtilen Andersartigkeit, sogar im Vergleich zu Ebene eins.
    Und nur wenige von ihnen redeten. Seltsamerweise dauerte es eine Weile, bis mir das auffiel. Von dem unablässigen Geschnatter auf Ebene eins war hier nur wenig zu hören. Es wurden Worte gewechselt, es gab kurze Gespräche, aber kein Stimmengewirr. Es war, dachte ich, als würden hier eigentlich keine Worte gebraucht.
    Mir kam zu Bewusstsein, dass ich bereits tiefer hinabgestiegen war, als die meisten Angehörigen der Öffentlichkeit – wie etwa die Schulkinder in ihren Klassenräumen oben – jemals in die Krypta vordringen würden. Niemand würde dies sehen, höchstens andere Mitglieder des Ordens, und diejenigen, die damit aufgewachsen waren, würden daran nichts Merkwürdiges finden.
    Und die Luft war dicker, wärmer und stärker von diesem erdigen, tierischen Moschusgeruch erfüllt. Ich hatte bald das Gefühl, nicht mehr genug Luft zu bekommen: Meine Brust strengte sich beim Atmen bis zum Äußersten an, meine Lungen schmerzten. Nach einer Weile wurde ich schläfrig, und ich hatte das vage Gefühl, als schwämmen die Krypta und ihre Bewohner an mir vorbei wie in einem Wachtraum.
    Ich bemühte mich, mein Gehirn wieder in Gang zu setzen.
    »Die meisten, die in der Krypta geboren werden, bleiben hier. Stimmt das?«
    »Nicht alle«, sagte Rosa. Sie erklärte, dass die Kryptabewohner während ihrer Ausbildung oder im Rahmen ihrer Arbeit für einen Tag, einen Monat und sogar Jahre »nach draußen« geschickt wurden. »Wie Lucia. Und manche gehen endgültig, wie unsere Großmutter.«
    »Granny?«
    »Sie kam hier zur Welt und ist in Manchester gestorben. Das hast du nicht gewusst, nicht wahr? Was glaubst du, wie Familien wie unsere, Zweige von Reginas altem Clan, in England, Amerika oder sonst wo landen? Natürlich verlässt hin und wieder jemand die Krypta – das ist schon immer so gewesen –, und manche gehen endgültig. Aber sie halten dem Orden die Treue.« Sie lächelte. »Er ist immerhin unser gemeinsames Erbe.«
    Es gab vieles, was ich nie erfuhr – zum Beispiel, wie sie die Familiennamen ihrer Kinder auswählten. Ich fragte mich zerstreut, wie die hier geborenen Babys offiziell registriert wurden, ob der Orden einen gefügigen Funktionär in Roms Standesamt hatte. Vielleicht wuchsen manche von ihnen ohne jegliche offizielle Unterlagen auf und verließen die Krypta nie, lebten und starben unsichtbar für den Staat.
    Rosa brachte mich zu so etwas wie einer offenen Feuerstelle, einer mit Ziegeln ausgekleideten Nische in der Wand, die mich um ein Stück überragte. Ich hielt neugierig inne. Ein großer, verrußter Kamin schlängelte sich außer Sicht. Es brannte kein Feuer. Dies war sehr alt – ich erkannte die schmalen roten Backsteine aus der Kaiserzeit, die dicke Mörtelschicht dazwischen.
    »Und was ist das? Ein Grill?«
    Rosa lächelte. »Ein Teil unseres Belüftungssystems. Jedenfalls früher. Heutzutage haben wir eine moderne Klimaanlage -Rohre, Pumpen, Ventilatoren, Luftbefeuchter, sogar Kohlendioxid-Scrubber. Aber diese Gerätschaften sind erst seit ein paar Jahrzehnten verfügbar. Im achtzehnten Jahrhundert haben wir eine der ersten Dampfmaschinen von James Watt erworben, aber die ist schon vor langer Zeit ausgebaut und an ein Museum verkauft worden… Die ursprünglichen Erbauer, die von den Katakomben aus in die Tiefe gruben, nutzten Bergwerkstechniken. Man hat hier unten ein Feuer gemacht und es den ganzen Tag brennen lassen.« Sie zeigte nach oben. »Der Rauch und die Hitze stiegen den Schornstein hoch

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