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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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interessiert mich nicht. Aber du bist ein vollauf funktionstüchtiges menschliches Wesen. Also handle auch so…
    Natürlich. Es lag auf der Hand.
    Ich ging zu Rosa und sagte, so leise ich konnte: »Wir treffen folgende Abmachung: Ich helfe dir, Peter zu entwaffnen. Aber ihr müsst die Krypta öffnen. Nehmt Kontakt mit der Welt auf. Ich bin überzeugt, Lucia hat gelitten, und wenn ich dem ein Ende machen kann, werde ich es tun.«
    Sie starrte mich wütend an; ihr Zorn übermannte sie. »Mit welchem Recht gibst du solche Erklärungen ab? Du bist ein Mann, genau wie dieser mordlüsterne Dummkopf im Felsen. Dieser Ort ist von und für Frauen erbaut. Was bildest du dir ein, uns über unsere Menschlichkeit zu belehren?«
    »Entweder du akzeptierst es, oder du lässt es bleiben.«
    Sie nagte an ihrer Lippe und musterte mein Gesicht. Dann nickte sie kurz.
    Zusammen gingen wir zu Peters Felsspalte. Aber es lief nicht so wie geplant.
     
    »Ich konnte euch nicht hören«, sagte Peter leise. »Aber ich konnte euch sehen. Ihr habt eine Vereinbarung getroffen, stimmt’s, George? Eine Vereinbarung, die den Schwarm erhalten wird.« Er seufzte. Es klang verzweifelt. »Ich glaube, ich wusste, dass es so kommen würde. Aber ich kann das nicht zulassen. Ich hätte dich gar nicht erst von Verhandlungen reden lassen sollen. Ich bin wohl doch schwach.«
    »Weshalb können wir nicht darüber reden?«
    »Es muss hier und jetzt aufhören, oder es wird nie zu Ende sein. Weil der Schwarm wie ein Virus ist, der schon bald für den Ausbruch einer Epidemie sorgen wird. Überleg doch mal. Schwärme brauchen Rohmaterial – haufenweise Drohnen, deren Lebensumwelt von hoher Bevölkerungsdichte geprägt ist und die eng miteinander verbunden sind. Bis zur Gegenwart hat nicht einmal jeder dreißigste Mensch in einer Gemeinschaft von über fünftausend Personen gelebt. Heute lebt über die Hälfte der Weltbevölkerung in einer städtischen Umgebung. Und wir sind enger miteinander verbunden denn je.«
    »Was willst du damit sagen, Peter?«
    »Wenn der Ausbruch kommt, wird es ein Phasenübergang sein – die Welt wird sich abrupt verwandeln, wie Wasser zu Eis wird, wie ein Wildblumenfeld im Frühling plötzlich blüht. Auf seine Weise wird es schön sein. Aber für uns ist es ein Endpunkt. Es wird neue Götter auf Erden geben: hirnlose Götter, eine sinnlose Transzendenz. Von nun an wird die Geschichte des Planeten nicht mehr die der Menschheit sein, sondern die des Schwarms…«
    »Peter.« Die Situation entglitt mir rapide. »Wenn du nur da rauskommen würdest…«
    »Weißt du, weshalb du bereit bist, mich zu verraten, um den Orden zu retten? Weil du ebenfalls zum Schwarm gehörst. Du bist auch nur eine Drohne, George – außerhalb des Zentrums, ja, aber trotzdem eine Drohne. Vielleicht warst du das schon immer. Und das Tragische daran ist, du weißt es nicht mal, stimmt’s?«
    Mir war, als drehte sich die Höhle um mich, der riesige, dicht bevölkerte Oberbau der Krypta. Konnte es sein, dass ich wirklich irgendwie in einen emergenten Superorganismus hineingesaugt worden war? Konnte es sein, dass ich meine Entscheidung nicht in meinem oder Peters oder Lucias Interesse, sondern im blinden Interesse des Schwarms getroffen hatte? Falls ja – woher sollte ich es wissen? Wieder sehnte ich mich nach Sauerstoff.
    »Ich steige da nicht mehr durch, Peter. Ich werde meinem Instinkt folgen. Was soll ich sonst tun?«
    »Nichts«, flüsterte er. »Gar nichts. Aber… verstehst du, ich bin der einzige freie Geist in dieser ganzen verdammten Gruft. Adieu, George.«
    »Peter!«
    Ich hörte ein Klicken.
    Und dann schwankte der Boden.
     
    Ich knallte gegen eine Wand. Der Aufprall trieb mir die Luft aus den Lungen. Einige Lampen erloschen; ich hörte, wie eine Glühbirne mit leisem Klirren zerbrach. Ein fernes Grollen ertönte, als führe ein riesiger Lastwagen vorbei.
    Es gab eine kurze Pause. Ich sah Lucia am Boden. Sie schützte ihr Baby. Sie waren beide grau vom Staub.
    Dann hagelte es schwere, scharfkantige Steinbrocken von der Decke. Ich stieß mich von der Wand ab, krabbelte zu Lucia hinüber und warf mich über sie und den Säugling. Ich hatte Glück; ich wurde getroffen, aber keiner der Brocken war so groß, dass es sehr wehtat.
    Das Grollen verebbte. Der Steinregen hörte auf. Behutsam rückte ich von Lucia ab. Wir waren beide von einer grauen Staubschicht bedeckt, und ihre Augen waren groß – der Schock vielleicht –, aber sie und das Baby schienen

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