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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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unverletzt zu sein.
    Ich hörte schnelle Schritte und Rufe. Taschenlampenlicht flackerte in dem trübe beleuchteten Gang.
    Rosa war an der Felsspalte und räumte mit bloßen Händen die Trümmer weg. Ich sah eine Hand, eine einzelne Hand aus dem Schutt ragen. Sie war blutig, und grauer Staub klebte an dem tropfenden Karmesin.
    Ich lief hin. Meine Beine und mein Rücken hatten einiges abbekommen und taten weh, meine Lungen und meine Brust schmerzten vom Aufprall an der Wand. Aber ich zerrte an den Steinen. Bald taten mir die Finger weh, und die Nägel waren abgebrochen.
    Rosa hatte unterdessen an dieser herausragenden Hand den Puls gefühlt. Sie packte mich am Arm und zog mich weg. »Lass gut sein, George. Wir können nichts mehr für ihn tun.«
    Ich wurde abrupt langsamer, als hätte ich jede Kraft verloren, und ließ die letzte Hand voll Schutt auf den Boden fallen.
    Ich nahm Peters Hand. Sie war noch warm, aber reglos, und ich merkte, dass sie ungelenk herunterhing. Ich war unsagbar traurig. »Peter, Peter«, flüsterte ich. »Du hättest doch bloß die verdammten Türen wegzusprengen brauchen.«
    Die Schritte kamen rasch näher. Schwarmarbeiterinnen natürlich, Drohnen, größtenteils Frauen, alle in staubbedeckte Kittel gekleidet. Im ungewissen Licht schwebten Gesichter vor mir, einen sorgenvollen Ausdruck in den grauen Augen. Ich packte Lucias Hand, und sie hielt sich an mir fest. »Verschwindet«, rief ich den Drohnen zu. »Raus hier. Es könnte noch mehr Steinschlag geben. Nehmt die Treppen. Na los, na los…«
    Die Drohnen zögerten, drehten sich um und flohen, und wir folgten ihnen.
    Der lange Aufstieg über Treppen aus Stein und Stahl war ein Albtraum aus Dunkelheit und wogendem Rauch. Es wurde noch schlimmer, als weitere Drohnen zu uns stießen, und bald befanden wir uns inmitten einer gewaltigen Schlange aus Frauen, Kindern und ein paar Männern, die alle in diesen engen, erstickenden Treppenschächten nach oben hasteten. In einigen Sektoren war der Strom ausgefallen, und im Licht flackernder Notlampen sah ich rennende Menschen, eingestürzte Trennwände, zerbrochenes Glas. In den Klinikbereichen und den seltsamen Kammern, in denen die mamme gewohnt hatten, waren kleine Gruppen emsig damit beschäftigt, Betten und Rollstühle aus den beschädigten Räumen zu schieben. Aber die Luft wurde rasch dicker, und es wurde erstickend heiß; offenbar hatten die Ventilationssysteme versagt.
    Ich drängte mich durch die Drohnenknäuel. Mein einziges Ziel war, hier herauszukommen: ich, Lucia und das Baby, denn ich ließ kein einziges Mal Lucias Hand los.
    Erst als ich ans Tageslicht kam, wurde mir klar, was geschah.
    Peter hatte sein Semtex geschickt platziert. Er hatte den oberen Panzer der Krypta aufgebrochen. Das Ergebnis war ein gewaltiger Krater mitten auf der Via Cristoforo Colombo. Angestellte aus den umliegenden Büros und Geschäften – Handys, Kaffeetassen und Zigaretten in der Hand – spähten in das Loch, das sich plötzlich in ihrer Welt aufgetan hatte. Von fern erklang Sirenengeheul, und ein einsamer Polizist gab sich alle Mühe, die Zuschauer von dem Loch fern zu halten.
    Und die Drohnen strömten nur so aus dem Krater, in verblüffender Zahl, zu hunderten und tausenden.
    Inmitten der Staubwolke sahen sie alle identisch aus. Selbst jetzt haftete ihnen eine gewisse Ordnung an – aber niemand führte sie. Die meisten ergossen sich in einer Art elliptischer Flut über den Rand von Peters Krater. Am Rand der Ellipse verharrten kräftigere, ältere Frauen, die sich teilweise untergehakt hatten, um Fremde fern zu halten. Im Zentrum der Menge waren die Jüngeren. Einige hielten kleine Kinder in den Armen, und hier und dort sah ich Krankenhausarbeiterinnen, die die schweren Stühle der mamme-nonne trugen. Die Frauen am Rand drängten ein paar Schritte nach vorn, sahen die glotzenden Büroangestellten um sie herum verständnislos an, drehten sich dann um, verschwanden wieder in der Menge und wurden von anderen ersetzt, die ihrerseits nach vorn drängten. Als die dahinströmende Ellipse die Häuser an den Straßenrändern erreichte, zerfiel sie, bildete Stränge, Ranken und Linien von Menschen, die vorstießen, sich auflösten und neu kombinierten. Wimmelnd und forschend drangen sie in Türöffnungen und Gassen ein. Im staubigen Licht schienen sie zu einer einzigen wogenden Masse zu verschmelzen, und selbst in der strahlenden Helligkeit des römischen Nachmittags sonderten sie einen moschusartigen Gestank

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