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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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der Leichnam ein bisschen ungeschickt in den Sarg hinuntergelassen. Regina sah, dass Marcus seine besten Schuhe trug. Nun, man konnte ja schließlich nicht ohne Schuhe in das Leben nach dem Tod eintreten. Auf Aetius’ Anweisung wurde Marcus mit dem Gesicht nach unten hingelegt.
    Die Trauergäste kamen einer nach dem anderen herbei und warfen Erinnerungsgeschenke in den Sarg, einesteils Andenken an Marcus’ Leben, wie Landwirtschaftsgeräte und sogar eine Hand voll tesserae von einem nicht fertig gestellten Mosaik, andernteils Gegenstände, die den Übergang ins Leben nach dem Tod erleichtern sollten: ein Fläschchen Wein, eine Schweinelende, ein paar Kerzen, eine Glocke, um das Böse abzuwehren.
    Nun wurde Regina doch ein bisschen unruhig, denn sie hatte kein Geschenk für ihren Vater mitgebracht. »Das hat mir niemand gesagt!«, zischte sie Carta an, handelte sich jedoch nur die Ermahnung ein, still zu sein.
    Sie riss sich von Carta los und schaute sich im Mausoleum um. In grasbewachsenen Ecken fand sie etwas Hundskamille, Mohn und Flockenblumen. Die Blütenblätter waren geschlossen und tauschwer, denn es war Nacht. Trotzdem pflückte sie die wild wachsenden Blumen und warf sie ins Grab. Vielleicht würden sie sich im Leben nach dem Tod öffnen, wo es bestimmt die ganze Zeit hell war.
    Eine Ladung Kalk, fahl im Sternenlicht, wurde in den Sarg geschüttet, um den Körper zu konservieren. Schließlich wurde der Sargdeckel hinuntergelassen, und die aufgehäufte Erde neben dem offenen Grab wurde energisch in die Grube geschaufelt. Das Erdreich roch feucht und fruchtbar. Über der frischen Erde wurde ein schlichter Grabstein errichtet – kleiner als der ihres Großvaters, denn wie man ihr erklärt hatte, waren solche Dinge heutzutage sehr teuer. Sie bückte sich, um die Inschrift zu lesen, aber die Schrift war geschwungen und lateinisch, und es war zu dunkel.
    Als die Beerdigungszeremonie vorbei war, begaben sich die Trauergäste zum Leichenschmaus in die Villa. Regina hielt Ausschau nach ihrer Mutter, sah sie jedoch nicht.
    Aber Aetius war da. Er hockte sich auf die Fersen und sah Regina an. In der Hand hielt er etwas, das er vor ihr verbarg; sie fragte sich, ob es ein Spielzeug war, ein Geschenk. Aber sein breites Gesicht war düster.
    »Ich möchte, dass du verstehst, was geschehen ist, meine Kleine. Weißt du, warum dein Vater gestorben ist?«
    »Ich habe das Blut gesehen.«
    »Ja. Du hast das Blut gesehen. Regina, Marcus war Anhänger einer Göttin namens Kybele.«
    »Kybele und Atys. Ja.«
    »Bei diesem Kult geht es sehr seltsam zu. An Kybeles Geburtstag übergießt man sich mit dem Blut geopferter Stiere und tanzt sich in einen Rausch hinein.« Sein hartes Soldatengesicht verriet ihr, was er von solchen Torheiten hielt. »Aber die wichtigste Handlung der Kybele-Priester ist die Kastration.« Er musste ihr erklären, was das bedeutete. »Sie kastrieren sich selbst – mit speziellen Zangen, die die Blutung stillen. Es ist ein Akt des Gedenkens an Atys, der sich zur Strafe für einen Moment der Untreue entmannt hat.«
    Regina versuchte, aus alldem schlau zu werden. »Mein Vater…«
    »Er hat sich entmannt. Genau wie Atys. Aber er hatte keine Priesterzange«, sagte Aetius grimmig.
    »Warum hat er das getan? War er denn untreu?«
    »Ja, das war er.« Aetius sah Regina unverwandt ins Gesicht.
    Regina merkte, wie steif Cartumandua neben ihr stand, und wusste, dass es vieles gab, was sie noch nicht verstand.
    »Aber er wollte sich nicht umbringen.«
    Aetius umfasste Reginas Gesicht mit beiden Händen. »Nein. Er hätte dich doch nicht einfach zurückgelassen, meine Kleine. Außerdem hat er wahrscheinlich sowieso gedacht, dass er im Fall seines Todes wieder auferstehen würde, genauso wie Atys… Nun gut. Dein Vater findet jetzt gerade heraus, ob das wahr ist. Und ich vermute, er bedauert es nicht, dass er von uns gegangen ist. Zumindest muss er sich nun nicht mehr mit aufsässigen Bauern herumschlagen. Zuletzt war alles ziemlich schwierig für ihn.«
    »Großvater?«
    Es schien, als hätte er ihre Anwesenheit völlig vergessen. »Ob er es nun wollte oder nicht, er ist tot. Und du, kleine Regina, bist die wichtigste Person in der Familie.«
    »Wirklich?«
    »Ja. Weil du die Zukunft bist. Hier – die musst du an dich nehmen.« Jetzt öffnete er die Hand, und Regina sah zu ihrem Schrecken und ihrer Überraschung die matres, die drei Göttinnen aus dem lararium, dem Familienschrein. Es waren grob gearbeitete

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