Der Orden
kannst nicht erwarten, dass sie Tag für Tag auf dieser Holzbank sitzt und deinen Vorträgen über Prokuratoren und Präfekte lauscht.«
»Sie braucht Disziplin…«
»Es ist nicht natürlich. Du musst ihr Zeit lassen.«
»Aber jeder Herzschlag, den wir hier auf der Straße herumstehen, ist vergeudete Zeit.«
»Der Wall steht seit dreihundert Jahren, und er wird wohl auch noch da sein, wenn wir ein paar Tage länger brauchen. Wenn du dich nicht in Nachsicht übst, glaube ich nicht, dass wir überhaupt jemals ankommen werden.«
Er kam widerwillig zurück. »Catuvellaunische Prinzessin hin oder her, für eine Sklavin bist du ganz schön frech.«
Sie senkte unterwürfig den Kopf. »Ich versuche nur zu helfen.«
Aetius hockte sich vor Regina nieder. »Ich glaube, wir sollten miteinander verhandeln, meine Kleine…«
Sie setzten die Reise fort, aber von nun an mit einem anderen Tagesablauf. Sie fuhren eine Weile und rasteten eine Weile, im Allgemeinen lange, bevor Regina sich zu sehr langweilte oder zu unwohl fühlte; Aetius behielt sich allerdings das Recht vor weiterzufahren, wenn er angesichts der Umgebung oder der Menschen, denen sie unterwegs begegneten, ein ungutes Gefühl hatte. Sie kamen langsamer voran und schafften statt fünfzig bis sechzig Wegsteine pro Tag nun weniger als vierzig.
Regina verlor zwar die Übersicht darüber, wie viele Tage sie schon unterwegs waren, und hatte nur eine äußerst vage Vorstellung, wo sie sich inzwischen befanden, aber die Reise war viel leichter für sie und machte sogar wieder Spaß, als der neue Tagesablauf zur Routine wurde.
Während sie immer weiter nach Norden vordrangen, änderte sich der Charakter der Landschaft.
Die Straße führte zwar noch immer schnurgerade an Gehöften vorbei, aber es gab nun viel mehr Rundhäuser des alten britannischen Typs anstelle der rechteckigen Bauten im römischen Stil. Die Städte ähnelten eher waffenstarrenden Festungen mit hohen Mauern und drohend aufragenden Wachtürmen. Hier und dort sah Regina Staubwolken und aufsteigenden schwarzen Rauch. Aetius erklärte ihr, das seien Bergwerke. Einmal trafen sie auf einen Mann, der Wölfe mit Maulkörben die Straße entlangtrieb; er war Pelztierjäger und hoffte, die Tiere an einen Zirkus verkaufen zu können.
Aetius zeichnete eine Karte der Insel Britannien ins Erdreich am Straßenrand und zog eine Linie von Südwest nach Nordost, vom Severn zum Humber. »Südöstlich dieser Linie sind Ebenen und niedrige Hügel. Hier findet man Felder und Bürger, und die Verwaltungszentren sind die Städte – unter der größten Stadt von allen, Londinium, der Hauptstadt der Diözese. Nordwestlich dieser Linie gibt es Berge und Barbaren; die dortigen Stämme und Häuptlinge regeln ihre Angelegenheiten selbst, haben kaum je vom Kaiser gehört und entrichten ihre Steuern nur äußerst widerwillig. Im Südosten gibt es tausend Villen, im Nordwesten keine einzige. Deshalb ist der Nordwesten der Diözese im Besitz des Heeres.« Aber Regina hatte weiterhin Schwierigkeiten, sich die Geografie des Landes und ihren gegenwärtigen Standort vorzustellen.
Als sie in den letzten Tagen ihrer endlosen Reise nach Norden durch eine hoch gelegene, öde Moorlandschaft holperten, erzählte ihr Aetius etwas über die Vergangenheit seiner Familie.
»Wir waren allesamt Durotriger. Die Angehörigen deines Vaters waren Aristokraten – Grundbesitzer –, schon bevor die Römer kamen«, sagte er. »Meine Leute – und die deiner Mutter – waren Bauern, aber auch Krieger.« Er warf einen Blick nach hinten, zu Cartumandua. »Die Catuvellaunier rühmen sich, ein großes Kriegervolk zu sein. Aber als Claudius kam, haben sie sich auf den Bauch gerollt und ihm den nackten Arsch hingestreckt…«
Regina schnappte angesichts dieser Ausdrucksweise schockiert und zugleich entzückt nach Luft, und Carta errötete.
»Aber wir haben uns gewehrt. Während Kaiser Claudius noch in Britannien war, musste sich einer seiner Generäle, Vespasian, nach Westen vorkämpfen und eine Hügelfestung nach der anderen einnehmen, unterstützt von der Flotte, die ihm an der Küste entlang folgte. Es war eine strategische Meisterleistung – und Vespasian wurde später auch selbst Kaiser –, aber bei meinen Augen, wir haben ihn gezwungen, sich diesen Thron zu verdienen. Und darum sind die Männer der Durotriger so gute Soldaten für das Imperium geworden.«
»So wie du, Großvater?«
»Du müsstest meine Beulen zählen«, sagte er schroff.
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