Der Orden
verabscheute das »Kuddelmuddel«, wie er es nannte, jenen Jargon aus mit lateinischen Brocken gewürztem Britannisch, der bei den gewöhnlichen Menschen der Gemeinschaft hinter der Mauer so hoch im Kurs stand. Er ließ sie Tacitus und Caesar lesen, Historiker, Kaiser und Dramatiker aus seinem Fundus uralter, brüchiger Papyrusrollen. Sie lernte, mit Griffeln auf gewachste Holztafeln zu schreiben, aber auch mit Tinte aus Ruß und einem Metallstift. Später, versprach er, würde er sie in der Redekunst ausbilden. Er glaubte jedoch an die Verbindung der besten britannischen und römischen Traditionen und ließ sie auch lange Sagen über Helden und Ungeheuer im alten britannischen Stil auswendig lernen.
»›Daher liebt und ehrt den Frieden und die Stadt, an der wir, Besiegte und Sieger, gleichen Rechtsanteil haben. Mahnen mögen euch Beispiele für die zwei Formen der Schicksalsmacht, damit ihr nicht Trotz, verbunden mit Untergang, dem Gehorsam, verbunden mit Sicherheit, vorzieht…‹«
Draußen gab es einige Unruhe. Geschrei, das wie Gesang klang. Zweifellos betranken sich die Soldaten wieder einmal. Aber Aetius reagierte nicht, und Regina wusste, dass sie bei ihm in Sicherheit war.
Aetius saß in seinem Lieblingskorbsessel und trank Bier. »Ja, ja… gleichen Rechtsanteil. Das Gesetz steht über uns allen – den Grundbesitzern, den Senatoren, sogar über dem Kaiser selbst, wer immer das gerade sein mag. Das ist das Eigentümliche an dem alten System, verstehst du. Es spielt keine Rolle, wer an der Spitze steht. Das System selbst hat sich so weit ausgebreitet und sich erhalten, obwohl wir Soldaten, Verwalter und sogar Kaiser aus den Reihen derjenigen gewählt haben, die man früher einmal als Barbaren bezeichnet hätte. Das System bleibt bestehen, während wir kommen und gehen.«
Sie stand mit dem brüchigen Papyrus in der Hand da und sagte: »Wie ein Ameisenhaufen. Das Imperium ist wie ein Ameisenhaufen, und wir sind alle bloß umherkrabbelnde Ameisen.«
Er knallte seinen hölzernen Krug auf die Armlehne seines Sessels. »Ameisen? Ameisen? Wovon redest du, Mädchen?«
»Nun ja, ein Ameisenhaufen organisiert sich selbst, ohne dass ihm jemand sagt, was er tun soll. Und wenn eine Ameise stirbt, nimmt eine andere ihren Platz ein – das gilt sogar für die Königin. Das sagen die Griechen, und die haben solche Dinge studiert. Ist es bei deinem Imperium nicht genauso?«
»Rom ist doch kein Ameisenhaufen, du törichtes Kind!«
So diskutierten sie weiter, wobei sie beide um ihre jeweilige Rolle wussten und sie mit viel Spaß an der Freude ausfüllten; sie provozierte ihn spitzbübisch, er fuhr hoch und geriet ins Stottern…
Die Tür flog krachend auf.
Im Eingang, umrahmt von Dunkelheit, stand ein Soldat. Er taumelte sichtlich betrunken in den Raum. Als er Regina sah, grinste er.
Aetius schien genauso schockiert zu sein wie Regina. Aber er stand auf und trat einen Schritt vor. »Septimius«, sagte er mit einer Stimme wie Donnergrollen. »Du bist betrunken. Und du solltest auf Wache sein.«
Septimius lachte nur, ein einzelnes Bellen. »Niemand ist auf Wache, du alter Narr. Was macht das schon? Ich bin nicht bezahlt worden. Du bist nicht bezahlt worden. Niemand kümmert es mehr.« Er trat einen schwankenden Schritt näher, ohne den Blick von Regina zu wenden. Sie roch den Schnaps in seinem Atem und erinnerte sich an ihn: Er war der Soldat, der sich vor ihr entblößt hatte, als sie auf dem Wall geblutet hatte.
Sie wich zurück, stieß jedoch an den Tisch und konnte in den beengten Räumlichkeiten des kleinen Landhauses nicht weiter ausweichen.
Aetius trat einen gemessenen Schritt vor. »Verschwinde von hier, Septimius. Du machst alles nur noch schlimmer für dich.«
»Ich glaube nicht, dass ich mich noch einmal von dir auspeitschen lasse, alter Mann.« Er drehte sich zu Regina um. »Du weißt, was ich will, stimmt’s, kleine Frau? Du bist reif, gepflückt zu werden.« Er griff nach ihr. Regina zuckte zurück, aber Septimius packte ihre kleine Brust und drückte sie fest.
Aetius warf sich mit der Schulter in ihn hinein. Septimius krachte gegen eine Wand, und das ganze Haus erbebte unter dem Aufprall. Aetius richtete sich taumelnd auf. »Lass die Finger von ihr, du Stück Dreck…« Er ließ seine Faust vorschnellen; sie war so groß, dass sie wie ein Felsbrocken aussah.
Aber so betrunken Septimius auch war, er tauchte unter dem Schlag weg. Und als er sich wieder aufrichtete, sah Regina Stahl
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