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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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aufblitzen.
    »Großvater – nein!«
    Sie hörte richtiggehend, wie die Klinge eindrang. Sie kratzte über die raue Wolle von Aetius’ Tunika. Aetius stand da und starrte Septimius an. Dann quoll ihm dunkles Blut aus dem Mund. Er erbebte und stürzte in starrer Haltung zu Boden.
    Septimius fiel das Kinn herunter, als würde ihm erst jetzt bewusst, wo er war und was er getan hatte. Er drehte sich um und lief in die Nacht hinaus. Aetius lag auf dem Boden und atmete mit tiefen, röchelnden Zügen.
    Auf dem Boden war Blut, es breitete sich aus wie damals bei ihrem Vater. Regina zwang sich, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Sie lief zu Aetius und hob seinen schweren Kopf auf ihren Schoß. »Großvater! Hörst du mich? O Großvater!«
    Er versuchte zu sprechen, hustete und spuckte einen Schwall dunklen Blutes aus. »Es tut mir Leid, meine Kleine. Es tut mir so Leid.«
    »Nein…«
    »Narr. War ein Narr. Habe mir etwas vorgemacht. Es ist vorbei. Der Wall. Jetzt werden auch die Letzten von ihnen verschwinden. Kein Sold, verstehst du, kein Sold. Cilurnium ist gefallen. Du hast das Feuer am Horizont gesehen. Cilurnium gibt es nicht mehr…« Er hustete wieder. »Geh mit Carta.«
    »Cartumandua…«
    »Geh mit ihr. Ihren Leuten. Hier hast du nichts mehr verloren. Sag ihr, ich hätte gesagt…«
    Sie stellte ihm die Frage, die seit fünf Jahren in ihrem jungen Herzen brannte. Wenn er starb, konnte er sie nicht mehr beantworten, und sie würde es vielleicht nie erfahren. »Großvater – wo ist meine Mutter?«
    »Rom«, stieß er hervor. »Ihre Schwester ist dort, Helena. Sie ist so schwach. Wollte nicht einmal auf dich warten…« Er packte sie an der Schulter. Seine Hand war glitschig vom Blut. »Vergiss sie. Julia ist unwichtig. Du bist jetzt die Familie. Nimm die matres mit.«
    »Nein! Ich gehe nicht weg. Ich lasse dich nicht allein.«
    Er bäumte sich in der immer größer werdenden Blutlache auf, und noch mehr rote Flüssigkeit strömte aus der klaffenden Wunde in seiner Brust. »Nimm sie…«
    Regina streckte die Hand aus und nahm die kleinen Statuen von ihrem Bord im lararium. Endlich schien er sich zu entspannen. Sie dachte, dass er noch etwas sagen wollte, aber seine Stimme war ein Gurgeln, und sie verstand kein Wort.
    Plötzlich zerbrach etwas in ihr. Sie stieß seinen Kopf weg, sodass er auf den Boden schlug, und rannte mit den Statuen in den Händen zu der aufgebrochenen Tür. Sie schaute sich nur ein einziges Mal um. Seine Augen waren noch offen, und er sah sie an. Sie floh in die Nacht hinaus.

 
8
     
     
    Zu meiner gelinden Überraschung war die Direktorin von St. Bridget’s, Ginas ehemaliger Schule, überaus freundlich, jedenfalls zu Anfang. Sie hörte mir zu, als ich ihr von dem Foto erzählte, zweifelte jedoch offensichtlich an meiner Geschichte von der vermissten Schwester.
    In ihrem Büro ließ sie mich auf einem Lehnsessel vor ihrem großen, polierten Schreibtisch Platz nehmen. Miss Gisborne war eine schlanke, elegante Frau von vielleicht fünfundfünfzig Jahren mit streng geschnittenem, silbergrauem Haar. Über ihrem Kostüm trug sie einen schwarzen Talar mit blauem Besatz – die Schulfarben, wie ich mich undeutlich an die Schulzeit meiner Schwester erinnerte. Das Büro war gut ausgestattet: ein dicker blauer Teppich, Stuckverzierungen an der Decke, ein Trophäenschrank, ein großes Gemälde der Schule an der Wand gegenüber von den großen Fenstern und jede Menge teuer aussehendes Schreibtischmobiliar. Ich kam mir vor wie im Sitzungssaal eines Großunternehmens; vielleicht diente dieses Allerheiligste ja dazu, die Eltern künftiger Schüler ebenso zu beeindrucken wie die lokalen Sponsoren, die für das Wohlergehen jeder Schule heutzutage offenbar unverzichtbar sind. An einer Wand hing jedoch ein riesiger und beunruhigend detaillierter gekreuzigter Heiland.
    Ulkigerweise war mein Sessel zu niedrig. Ich saß da, tief eingesunken in das Ding, die Knie fast auf Höhe meiner Brust, während die Direktorin über mir aufragte.
    Sie erinnerte sich nicht an Gina, aber sie hatte sich die Mühe gemacht, einige ihrer Zeugnisse herauszusuchen. »Sie hat sich gut gemacht: ein intelligentes, hübsches Mädchen, eine natürliche Anführerin…« Was die Leute halt immer so über Gina gesagt hatten. Sie hegte jedoch nur wenig Hoffnung, dass es ihr gelingen würde, irgendwelche Unterlagen über eine jüngere Schwester ausfindig zu machen, und fand es augenscheinlich seltsam, dass ich überhaupt danach fragte.

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