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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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»Damals gab es hier eine Vorschulabteilung – für die unter Fünfjährigen, wissen Sie –, aber die ist schon längst geschlossen. Die Schule hat seither einige Veränderungen durchlaufen. Ich werde Milly ins Archiv schicken, aber ich bin nicht optimistisch. Es ist alles so lange her – nichts für ungut!«
    »Ist schon in Ordnung.«
    Während wir auf die Rückkehr der in die Katakomben hinabgestiegenen Sekretärin warteten, bot mir Miss Gisborne einen Kaffee oder einen raschen Rundgang durch die Schule an. Ich war nervös und verlegen und kam mir töricht vor, und ich wusste, dass mir in Gegenwart dieser Leiterin einer katholischen Schule bald der Gesprächsstoff ausgehen würde. Also entschied ich mich für den Rundgang. Es fiel mir nicht ganz leicht, meinen Korpus aus dem winzigen Sessel zu hieven.
    Wir verließen das Büro.
    Die Schule war ein Ort in konzentrischen Kreisen abgelagerter Geschichte. Ein Geviert zweigeschossiger viktorianischer Bauten umschloss eine kleine, quadratische Rasenfläche. »Wir halten die Schüler dazu an, im Sommer Krocket zu spielen«, sagte Miss Gisborne leichthin. »Das beeindruckt die Interviewer von Oxford und Cambridge.« Die Gänge waren schmal, der Fußboden bestand aus Hartholz mit tief eingetretenem Dreck. Es gab riesige, heldenmütige Heizkörper; gewaltige Heizrohre liefen unter der Decke entlang. Wir kamen an Klassenzimmern vorbei. Hinter dicken Fenstern arbeiteten Reihen von Schülerinnen, manche in blauen Blazern, an unidentifizierbaren Aufgaben.
    »Das erinnert mich an meine eigene Schulzeit«, sagte ich beklommen.
    »Ich weiß, wie Sie sich fühlen; viele Eltern Ihrer Generation empfinden genauso. Enge Korridore. Bedrückende Decken.« Sie seufzte. »Erzeugt nicht gerade die richtige Atmosphäre, aber wir können nicht viel dagegen tun, außer alles abzureißen.«
    Wir verließen den zentralen Block. Die umliegenden Gebäude waren neuer; die ältesten stammten aus den Fünfzigerjahren. Ich bekam eine Bibliothek zu sehen, die in den Achtzigern bedarfsgerecht errichtet worden war, ein helles, attraktives Gebäude, in dem es ebenso viele Computerterminals wie Bücherregale zu geben schien. Die Schülerinnen arbeiteten konzentriert, soweit ich sehen konnte, zweifellos auch angespornt durch die Anwesenheit der Direktorin.
    Miss Gisborne redete beständig auf mich ein, als wäre ich ein potenzieller Geldgeber. Früher sei die Schule von einem weiblichen Lehrorden geführt worden. Während der Umstellung des britischen Schulwesens auf Gesamtschulen seien die Nonnen dann gegangen oder hinausgeflogen, je nach Standpunkt. »Obwohl wir noch Kontakt zu ihnen haben«, erklärte sie. »Ebenso wie zu einer Reihe anderer katholischer Gruppierungen. Wie gesagt, seit Ginas Schulzeit haben wir unsere Vorschulsektion geschlossen und uns auf Verwaltungsebene mit einer großen Jungenschule zusammengetan, die einen knappen Kilometer entfernt ist. Wir bereiten die Sechzehn- bis Achtzehnjährigen jetzt auf die Abschlussprüfungen vor. Unsere Schule genießt einen guten Ruf, und…«
    Vermutlich fand sie mich ebenso langweilig wie ich sie und war mit den Gedanken zum Teil woanders, nämlich bei der unaufhörlichen, komplexen Aufgabe, die Schule zu leiten.
    Das spektakulärste neue Gebäude war eine Kapelle. Sie hatte ein raffiniert geschwungenes Betondach; wie sich herausstellte, sollte es die Zelte nachbilden, in denen Mosis Volk während der Durchquerung der Wüste gelebt hatte. Der Innenraum unter diesem verblüffenden Dach war hell; die langen Buntglasfenster streuten rote und goldene Lichtkleckse in den Raum, und es roch nach Weihrauch.
    Ich fühlte mich sonderbar unwohl. Unter einer Hülle aus Reform und Erneuerung besaß die Schule immer noch ihren tief religiösen Kern; er hatte sich über die Jahrzehnte hinweg erhalten, etwas Altes und Dunkles, das überlebt hatte.
    Miss Gisborne schien mein Unbehagen in der Kapelle zu spüren, und von diesem Moment an wurde sie seltsam feindselig.
    »Sagen Sie, wann waren Sie das letzte Mal in der Kirche?«
    »Vor zwei Wochen, bei der Beerdigung meines Vaters«, antwortete ich ein bisschen grob.
    »Mein Beileid«, sagte sie ruhig. »Waren Ihre Eltern sehr gläubig?«
    »Ja. Aber ich bin nicht wie meine Eltern.«
    »Bedauern Sie es, eine katholische Erziehung genossen zu haben?«
    »Ich weiß nicht. Sie war ein so großer Teil meines Lebens, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, was andernfalls aus mir geworden wäre.«
    »Sie werden die Schule

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