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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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mit einem starken ethischen Bewusstsein verlassen haben, mit dem Gefühl, dass es etwas Größeres gibt als Sie selbst. Auch wenn Sie die Antworten ablehnen, bleiben Ihnen die Fragen: Woher komme ich, und wohin gehe ich? Welchen Sinn hat mein Leben?« Sie lächelte; ihre Miene war energisch und selbstgewiss. »Ob Sie sich vom Glauben abwenden oder nicht, Sie sind zumindest seiner Realität und seiner inneren Kraft ausgesetzt gewesen. Ist das nicht ein lohnendes Erbe?«
    »Meinen Sie, dass Ihre Sekretärin inzwischen fertig ist?«
    »Höchstwahrscheinlich. Wissen Sie, es überrascht mich, dass Sie ausgerechnet zu uns gekommen sind, um diese mysteriöse ›Schwester‹ zu suchen.«
    »Wieso? Wohin hätte ich sonst gehen sollen?«
    »Zu Ihren Angehörigen natürlich. Zu Gina. Aber vielleicht stehen Sie sich nicht sehr nahe. Jammerschade.« Sie führte mich aus der Kapelle und über das Schulgelände zum Hauptblock zurück.
     
    Milly, die Sekretärin, hatte tatsächlich einen Stapel alter Vorschulunterlagen zutage gefördert. Einige der vierzig Jahre alten, vergilbten Papiere waren von Hand in Spalten unterteilt; sie waren alle eng beschrieben, mit der Hand oder der Schreibmaschine, und lagerten in ramponiert aussehenden Aktenkästen. Irgendwo musste es ähnlich verstaubte Fossilien meiner eigenen Schullaufbahn geben, stellte ich trübselig fest.
    Miss Gisborne blätterte die Kästen lebhaft durch und fuhr mit einem manikürten Fingernagel Namensreihen entlang. Ich sah, dass sie nichts fand. »Hier gibt es niemanden namens Poole«, sagte sie. »Sie sehen, ich habe ein, zwei Jahre vor und nach der…«
    »Vielleicht könnten Sie es mit einem anderen Namen probieren. Casella.«
    Sie sah mich stirnrunzelnd an. »Wer ist das?«
    »Der Mädchenname meiner Mutter. Vielleicht hat sie das Kind unter diesem Namen eingetragen.«
    Sie seufzte und schloss den Aktenkasten. »Ich fürchte, wir verschwenden unsere Zeit, Mr. Poole.«
    »Ich habe doch das Foto«, jammerte ich.
    »Aber mehr auch nicht.« In ihrer Stimme lag kein Mitgefühl. »Es gibt viele mögliche Erklärungen. Vielleicht war es eine Cousine, eine entfernte Verwandte. Oder einfach ein anderes Kind, eine Spielkameradin mit einer zufälligen Ähnlichkeit.«
    Ich bemühte mich, meine Gefühle in Worte zu kleiden. »Wissen Sie, es ist mir wirklich sehr wichtig.«
    Sie starrte mich an, eine einschüchternde Direktorin, die einem linkischen Schüler gegenübersaß. Dennoch wandte sie sich wieder dem ersten ihrer Aktenkästen zu und begann von vorn.
    Sie brauchte weitere fünf Minuten, um den Namen zu finden. »Ah«, sagte sie widerstrebend. »Casella. Rosa Casella, aufgenommen 1962…«
    Ich merkte, wie mir die Luft wegblieb. Vielleicht hatte ich auf irgendeiner Ebene doch nicht so recht geglaubt, dass es diese verlorene Schwester wirklich gab, trotz des Fotos. Aber jetzt hatte ich so etwas wie eine Bestätigung. Und sogar einen Namen – Rosa. »Was ist aus ihr geworden?«
    Miss Gisborne blätterte ein paar Seiten weiter. »Als sie die Schulreife erlangte, wurde sie… ah, hier haben wir’s… auf eine Schule in Rom versetzt…« Sie las weiter.
    Ich saß da und war doch tatsächlich neidisch. Weshalb hatte diese geheimnisvolle Rosa das Privileg einer Ausbildung an einem schicken römischen College genossen? Warum nicht ich?
    Miss Gisborne legte die Papiere abrupt in den Aktenkasten zurück und ließ ihn mit einem Knall zuschnappen. »Tut mir Leid. Das ist zu vorschriftswidrig. Ich dürfte Ihnen das gar nicht erzählen. Der angebliche Mädchenname Ihrer Mutter ist die einzige Verbindung…«
    Ich tippte auf eine andere Verbindung. »Diese Schule in Rom. Wurde sie von einem katholischen Orden geführt?«
    »Mr. Poole…«
    »Dem Mächtigen Orden der Heiligen Maria, Königin der Jungfrauen?«
    »Mr. Poole.« Sie stand auf.
    »Es war der Orden, stimmt’s? Das war der Name, den Sie gerade gelesen haben.« Es war eine merkwürdige Situation. Ich verstand nicht, weshalb sie auf einmal so feindselig reagierte, nachdem wir auf die Angaben über den Orden gestoßen waren. Es kam mir so vor, als verteidigte sie ihn – aber ich hatte keine Ahnung, weshalb. Vielleicht hatte sie etwas zu verbergen. Ich riskierte einen Schuss ins Blaue. »Hat diese Schule hier ebenfalls Verbindungen zu dem Orden? Sind Sie deshalb auf einmal so abweisend?«
    Sie ging zur Tür. »Guten Tag, Mr. Poole.« Wie durch Zauberei öffnete Milly die Tür; sie wartete offenbar darauf, mich hinauszuwerfen.
    Ich

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