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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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nicht ganz so fleischig. Jetzt zogen sich Falten um Augen und Mund, und ihre Haut war ein bisschen wettergegerbt, poliert von der Sonne Floridas. Aber sie hatte immer noch die Familienaugen, klar und hellgrau – »raucherfüllt«, wie einer ihrer Freunde sie immer genannt hatte.
    Uns gingen die Tatsachen aus, die wir austauschen konnten, und ein kurzes, verlegenes Schweigen machte sich breit.
    »Es ist gut, dass du gekommen bist«, sagte sie. »In so einer Zeit ist es wichtig, mit seinen Angehörigen zusammen zu sein. Und so weiter.«
    »So ist es«, sagte ich. Das stimmte. Als ich in dieses Gesicht schaute, das meinem eigenen derart ähnelte, verspürte ich trotz der ewigen Spannung zwischen uns eine gewisse Ruhe, die ich seit dem Tod meines Vaters verloren hatte.
    Aber sie brach den Bann, indem sie scharf sagte: »Ich weiß, du denkst, ich hätte nach der Beerdigung länger bleiben sollen.«
    »Du hast hier dein eigenes Leben. Für mich war es einfacher, das zu regeln.«
    »Ja, wahrscheinlich«, sagte sie. Das war natürlich eine verschlüsselte herabsetzende Bemerkung. Du hattest die Zeit dazu, weil du im Gegensatz zu mir kein eigenes Leben hast. Geschwisterrivalität, wie sie im Buche steht.
    Ich zog ihr Sammelalbum über Regina aus meiner Jackentasche und legte es auf den Tisch. »Das habe ich zu Hause gefunden. Ich kann mich gar nicht daran erinnern, wie du es angelegt hast.«
    »War wohl vor deiner Zeit.«
    »Ich dachte, du hättest es vielleicht gern.«
    Sie zog das eselsohrige Büchlein zu sich heran. Sie hob es nicht auf, sondern blätterte die Seiten mit spitzen Fingern um. Es war, als hätte ich ihr eine Nachgeburt präsentiert, eingelegt in einem Gefäß. »Danke«, sagte sie kühl.
    Ich ärgerte mich über sie und über mich selbst. »Verdammt noch mal, Gina. Weshalb fällt es uns so schwer, miteinander klar zu kommen? Selbst in so einer Zeit. Ich bin nicht hier, um mich zu streiten…«
    »Weshalb dann?«, fragte sie kalt.
    »Wegen Rosa«, sagte ich, ohne zu zögern. Befriedigt sah ich, wie ihre raucherfüllten Augen, die meinen so ähnlich waren, sich weiteten.
    Zu unser beider Erleichterung kamen in diesem Moment die Jungs hereingestürmt.
     
    »George!«
    »Hey, Onkel George…«
    Michael war zehn, John zwölf. Sie trugen Sommersachen, T-Shirts, Shorts und riesige, teuer aussehende Basketballstiefel. Michael hatte eine komplizierte Frisbee-Scheibe unter dem Arm. Ich bekam sogar eine Umarmung von Michael und einen Boxhieb an die Schulter von seinem älteren Bruder, so fest, dass es wehtat. Von diesen beiden nahm ich, was ich kriegen konnte.
    Ich sah, wie ihre Blicke durch die Küche schweiften. »Geht mal raus zu meinem Wagen und werft einen Blick in den Kofferraum.«
    Es machte mir immer Spaß, den nachsichtigen Onkel zu spielen, wenn auch nur, weil ich ein Talent dafür hatte, Geschenke ausfindig zu machen, die den Geschmack meiner Neffen trafen. John kam mir stets ein bisschen träger vor als sein Bruder; er würde mit passiven Vergnügungen wie Computerspielen und dergleichen zufrieden sein. Der kleine Michael hingegen war schon immer ein Bastler gewesen. Einmal hatte ich einen alten Meccano-Baukasten gefunden – eine Antiquität aus den Sechzigern, aus meiner eigenen Kindheit, aber in fabrikneuem Zustand. Michael hatte ihn geliebt.
    Diesmal kamen meine Geschenke nicht ganz so gut an. Ich hatte den beiden Roboterbausätze gekauft. Man setzte einen Motor in ein Chassis mit Rädern ein, hängte einen Prozessor dran, den man über ein PC-Interface steuern konnte, und bekam auf diese Weise ein kleines, käferartiges Geschöpf, das im Zimmer herumfahren und Stuhlbeinen ausweichen konnte. Die Käfer konnten sogar einfache Aufgaben erlernen, wie zum Beispiel einen Tischtennisball eine Rampe hinaufzurollen. Aber in den besseren amerikanischen Schulen bauen sie solche Kreaturen als Hausaufgabe. Trotzdem spielten die Jungs eine Zeit lang pflichtgemäß mit den Bausätzen.
    Wir aßen zu Mittag, einen schlichten, aber natürlich köstlichen Fischsalat – meine Schwester war enervierend gut in allem –, und dann scheuchte Gina uns aus dem Haus.
    Auf der riesigen Rasenfläche hinter dem Haus warfen wir Michaels Frisbee hin und her. Er hatte es modifiziert: Es besaß eine Reihe ordentlich ausgeschnittener runder Löcher am äußeren Rand und schoss wie eine rotierende Kugel durch die Luft. Aber das war noch nicht alles: Später zeigte mir Michael eine ganze Sammlung modifizierter Frisbees in einer Kiste

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