Der Orden
zerbröselte sie und hinterließ etwas Schwarzes auf den Fingern, wie Ruß. Später fand sie heraus, dass Verulamium in seiner kurzen Geschichte zweimal niedergebrannt worden war und dass es sich bei diesen Ascheschichten um Überbleibsel jener Katastrophen handelte.
In die Wand war eine überwölbte Höhlung gehauen worden. Darin stand eine kleine Figur, offenbar aus Bronze – ein Mann auf einem Pferd. Auf seinem übergroßen Kopf saß ein Helm mit Federbusch. Vor ihm lagen kleine Opfergaben, vielleicht ein Anteil an Speisen.
»Siehe«, forderte Amator sie spöttisch-weihevoll auf. »Mars Toutatis, der Kriegsgott der Catuvellaunier. Als römischer Mars betrachtet, solange es politisch opportun war. Was nun – glaubst du, er wird Christus werden? Müssen wir demnächst ein Chi und Rho über seinem Kopf einmeißeln?«
»Du solltest nicht so reden«, sagte sie leise.
»Oder was? Pinkelt mir sein Pferd sonst ans Bein?«
»Wir sollten nicht hier unten sein.«
»Da hast du vermutlich Recht. Aber niemand wird es erfahren.« Er beugte sich vor und blies die Flamme aus. Es war stockfinster, bis auf das schwache, diffuse Tageslicht, das vom Treppenschacht hereinfiel. Sie spürte Amators schwere Wärme, keine Handbreit von ihr entfernt, und sein Atem wehte heiß an ihre Wange.
Er wich zurück. Seine Tunika raschelte leise. »Jetzt haben wir beide ein Geheimnis.« Er lachte, und seine Füße klapperten über die Stufen. Sie folgte ihm hinauf ins Tageslicht, doch als sie oben ankam, war er fort.
10
Miami Airport war ein äußerst unangenehmer Ort. Die Schlangen schmutziger Erwachsener und unglücklicher Kinder vor den Kontrollstellen waren so lang und rückten so langsam vor wie in allen anderen amerikanischen Flughäfen, an die ich mich erinnerte.
Ich hatte im Lauf der Jahre mehrere Reisen in die Staaten unternommen, bei der Arbeit, im Urlaub – und auf den Spuren meiner Schwester. Nachdem Gina vor ungefähr fünfzehn Jahren angefangen hatte, in Amerika zu arbeiten, war sie nur noch einige wenige Male nach Hause gekommen, zuletzt – und auch nur widerwillig – zu Vaters Beerdigung. Ihre beiden Jungen waren die einzigen Kinder in der Familie – von denen ich wusste, rief ich mir ins Gedächtnis und dachte dabei an Rosa. Sie waren mir rasch ans Herz gewachsen, zweifellos infolge einer Mischung aus emotionalen Gründen und genetischer Sehnsucht. Um sie zu sehen, musste ich jedoch jedes Mal diese Nachtflüge und die Unfreundlichkeit US-amerikanischer Zollbeamter ertragen.
Außerhalb des Terminals war das Wetter ungewöhnlich feucht und warm für Oktober. Natürlich war mich niemand abholen gekommen. Mit dem Taxi fuhr ich vom Flughafen zu meinem Hotel in Miami Beach. Ich war nur rund dreißig Kilometer von meiner Schwester entfernt. Aber ich war es gewohnt, mir ein Hotelzimmer zu nehmen. Ich hatte schon längst gelernt, Gina nicht unnötig unter Druck zu setzen, indem ich mich bei ihr einquartierte, obwohl ich um die halbe Welt geflogen war, um sie zu besuchen.
Für gewöhnlich stieg ich in einem Best-Western-Hotel ab, aber auf dieser Reise hatte ich beschlossen, ein bisschen Geld auszugeben und mir übers Internet ein Zimmer in einem großen Wellness-Hotel an der Küste gesucht. Die Klimaanlage des Hotels war natürlich eine Wucht, und die Temperatur sank bestimmt um zwanzig Grad, als ich durch die Schiebetüren zur Rezeption ging. Das üppige, weitläufige Interieur gefiel mir, das Atrium mit seinen purpurroten und chromglitzernden Fliesen, die riesige, vertieft angelegte Bar, die flüchtigen Eindrücke von chlorblauen Pools hinter breiten Glastüren. Konferenzräume in Nischen scharten sich um das Atrium; offenbar setzte das Hotel stark auf Geschäftskunden, und ich fragte mich, ob Gina oft hier zu tun hatte.
Mein Zimmer befand sich im elften Stock. Ich schaltete den Fernseher ein und packte rasch meine Sachen aus. Das Zimmer war groß, teuer und hatte einen Balkon mit Meerblick – jedenfalls wenn man sich ans Geländer drückte und an der Flanke des Hotels vorbei und über einen verkehrsreichen Highway hinwegschaute. Es war später Nachmittag, aber wie immer nach einem Transatlantikflug war es unheimlich zu sehen, dass die Sonne noch so hoch über dem Horizont hing. Ich habe das Fliegen schon immer unangenehm gefunden.
Ich wusste, ich sollte mich duschen, etwas trinken und so lange wie möglich schlafen. Aber ich war unruhig und auf diffuse Weise verwirrt; im Moment schien mir mein Leben zu
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