Der Orden
leben Tiere drin!«
»Aber wir werden es leichter reparieren können«, erwiderte Carta. »Sieh den Tatsachen ins Auge, Regina – wie sollen wir Dachziegel brennen?«
»Wir könnten sie ersetzen lassen.«
Carta lachte müde. »Ach, Regina – von wem denn? Wo sind die Handwerker? Und womit sollen wir sie bezahlen?… Ich weiß, es ist schwer. Aber ich sehe hier niemanden herumstehen, der darauf wartet, uns zu helfen. Du etwa? Wenn wir es nicht selbst reparieren – tja, dann bleibt es eben so.«
Regina legte eine Hand auf ihren Bauch. Irgendwie machten Cartas Realismus und Verbissenheit alles eher schlimmer als besser.
Vom unteren Hang des Hügels ertönte ein Ruf. Severus kam mit etwas Schwerem und Schlaffem zurück, das ihm über der Schulter hing. Bald darauf stiegen Regina der Eisengestank von Blut und ein noch stärkerer Verwesungsgeruch in die Nase. Grunzend ließ Severus seine Last auf den schlammigen Boden fallen. Es war der Kadaver eines jungen Hirsches. Der Kopf war fast vom Körper abgetrennt, vermutlich von Severus’ Messer. Severus schwitzte, und seine Tunika war blutgetränkt. »Glück gehabt«, sagte er. »Hat mit dem Lauf in einer Falle gesteckt. War schon fast tot, glaube ich. Seht ihr?«
Der Hirsch war sehr jung gewesen. Seine Hörner waren bloße Stummel, sein Körper war klein und geschmeidig. Aber einer seiner Läufe baumelte ungelenk herab, und starker Fäulnisgeruch stieg von dem geschwärzten Fleisch auf.
Severus beugte sich über den schlaffen Kadaver. Mit wenig wirkungsvollen, aber brutalen Stößen trieb er sein Messer in das Hüftgelenk über dem gesunden Hinterlauf des Hirsches. Nachdem er Sehnen und Knochen geräuschvoll durchtrennt hatte, riss er das Gelenk auseinander und hängte sich die Keule über die Schulter. »Wir haben Nachbarn«, sagte er und zeigte mit seinem blutigen Messer in eine Richtung. »Ich habe Lichter gesehen. Ein Gehöft, da drüben hinter dem Kamm. Mal sehen, ob sie handeln wollen.«
»Ja«, sagte Carausias mit eindringlicher Stimme. »Wir brauchen alles Mögliche.«
»Was ich brauche, ist ein großer Schluck Weizenbier«, erwiderte Severus. »Für heute reicht’s mir.«
»Du kannst doch nicht so egoistisch sein!«, rief Carausias.
Aber Carta sagte nur: »Komm lebend zurück.«
Als er fort war, standen die anderen um den Kadaver herum. Blut rann langsam aus seiner Kehle in den Schlamm.
»Was machen wir jetzt?«, flüsterte Carausias, als könnte er den Hirsch aufwecken.
Schließlich seufzte Regina. »Früher habe ich immer den Schlachtern in der Villa zugeschaut. Wir brauchen ein Seil…«
Sie durchwühlten den Abfall in den Gebäuden, bis Marina ein von Mäusen angenagtes Stück Seil fand. Zu Reginas Entsetzen war das Fleisch des Hirschs warm und weich; sie hatte noch nie ein Tier angefasst, das erst vor so kurzer Zeit gestorben war. Aber sie band das Seil um den verbliebenen Hinterlauf des Hirschs und warf es über den Ast eines Baumes. Indem sie zu dritt daran zogen, gelang es ihnen, den Kadaver ins Geäst zu hieven.
Der Hirsch baumelte wie eine riesige, grausige Frucht herab. Blut und dunklere Flüssigkeiten flossen träge aus seinem Hals und bildeten eine Lache auf dem Boden.
Carta schaute unschlüssig zu. »Wir sollten das Blut auffangen.«
»Wozu?«
»Man kann es kochen – mit Kräutern mischen – die Gedärme damit füllen. Das habe ich schon gesehen. Wir sollten nichts verkommen lassen.«
Regina merkte, wie ihr übel wurde. Aber sie sagte: »Wir haben keine Schüssel, um es aufzufangen. Nächstes Mal.«
»Ja.«
Regina trat mit Carausias’ Messer vor. In Erinnerung an grässliche Bilder aus ihrer Kindheit hob sie die Hand, stieß dem Hirsch das Messer unter dem Bauch in die Haut und zog die Klinge mit aller Kraft der Länge nach durch den Kadaver. Innereien glitten heraus, ein Gewirr dunkler Schlingen. Sie wich zitternd zurück. Ihre Tunika und ihre Haut waren mit dunklem Blut bespritzt, und ihre Hände waren schon jetzt bis zu den Handgelenken rot gefärbt. Sie trat hinter den Kadaver und zog an den Hautlappen. »Helft mir«, sagte sie. »Danach müssen wir die anderen Läufe abschneiden.«
Carausias schichtete in den Ruinen des Rundhauses einen Stapel Feuerholz auf. Das Holz, das sie sammelten, war jung und taufeucht, und sie hatten Mühe, es anzuzünden. Aber als es endlich richtig brannte und Fleischstücke an einem improvisierten Spieß brutzelten, kauerten sie sich um das Licht und die Wärme zusammen. Das Fleisch war
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