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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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mager und so zäh, dass man es kaum zerbeißen konnte, und sein blutiger, rauchiger Gestank war abstoßend. Aber Regina war sich beständig des Fünkchens Leben in ihrem Innern bewusst, und darum zwang sie sich, das Fleisch in den Mund zu stecken, kaute es, bis es weich war, und schluckte es hinunter.
    »Wir sind wie Wilde«, sagte Carausias. »Barbaren. Das ist doch kein Leben.«
    »Aber auch Barbaren verstehen sich auf so manche Dinge«, sagte Carta. »Wie du den Hirsch ausgenommen hast, Regina…«
    »Ich war ungeschickt.«
    »Das wird schon noch. Es gibt ältere Fertigkeiten, die wir uns in Erinnerung rufen müssen. Zum Beispiel sollten wir die Haut behalten und sie beizen, wenn wir können. Und das Fleisch haltbar machen. Wir haben Glück gehabt, aber wir sind keine Jäger. Es könnte eine Weile dauern, bis uns wieder ein solches Mahl in den Schoß fällt. Wir könnten das Fleisch räuchern, in der Sonne trocknen und vielleicht in Salz einlegen.«
    »Wie?«
    »Das weiß ich nicht. Aber wir werden es lernen. Und in Zukunft sollten wir auch das Fett aufbewahren. Vielleicht können wir Talgkerzen daraus machen.«
    Carausias legte ihr die Hand auf die Schulter. »Genug für heute Abend, Nichte.«
    Als sie mit dem Essen fertig waren, zog sich Regina in den tiefsten Schatten des Rundhausdaches zurück, den sie finden konnte. Mit einem Zipfel ihres Umhangs versuchte sie, das Tierblut von ihren Händen und ihrem Gesicht zu reiben. Bald war ihre Haut wund, und das Tuch begann zu reißen, aber das Blut ging trotzdem nicht ab.
    Carausias kam zu ihr in die Dunkelheit. Er setzte sich neben sie, legte seine Hände auf ihre und beendete damit ihr besessenes Schrubben. »Morgen früh suchen wir Wasser«, sagte er. »Dann können wir uns alle waschen.«
    »Ich will das nicht«, zischte Regina. »Ich will nicht wie… wie ein Hund leben. Carta ist so stark.«
    »Ja. Und das macht es noch schlimmer, nicht wahr? Denn indem sie es annimmt, macht sie es wirklich. Aber du bist ebenfalls stark, Regina. Wie du das mit dem Hirsch gemacht hast…«
    »Ich will nicht stark sein. Nicht auf diese Weise.« Sie blickte in sein freundliches, blutbesudeltes Gesicht hinauf, das im Dunkeln nur undeutlich erkennbar war. »Irgendwann wird sich alles wieder normalisieren, nicht wahr, Carausias?«
    Er zuckte die Achseln. »Selbst jetzt umspannt Rom einen ganzen Kontinent, ein tausendjähriges Reich, nur eine Tagesreise mit dem Schiff entfernt, jenseits des Meeres. Das war eine schreckliche Zeit für uns alle. Aber weshalb sollten wir glauben, dass wir in besonderen Zeiten oder gar in einer Endzeit leben? Wie überheblich von uns, und wie töricht.«
    »Ja. Aber vorerst…«
    »Es wird bestimmt nur ein paar Wochen dauern, bis wir die Postboten wieder über die Straßen klappern sehen. Bis dahin müssen wir uns halt irgendwie durchschlagen.«
    »Nur ein paar Wochen. Ja.«
     
    Der Hirsch ernährte sie die ersten paar Tage. Sie ergänzten das Fleisch durch eine Beilage aus späten Beeren. Um Wasser zu holen, mussten sie täglich mehrmals zum Sumpf land am Fuß des Hügels hinunterlaufen; sie trugen das Wasser in einem Holzeimer hinauf, den sie in den Ruinen des Gehöfts gefunden hatten.
    Der erste Regen hätte ihr Feuer jedoch beinahe gelöscht. Er verwandelte den Fußboden des Rundhauses in einen Morast. Obwohl Carausias sich bemühte, tapfer zu sein, weinte er in dieser Nacht, durchnässt, frierend und gedemütigt, weil er zugelassen hatte, dass seine Familie so tief gesunken war.
    Regina erkannte, dass sie das Dach reparieren mussten.
    Severus erklärte, er könne das übernehmen. Er kletterte aufs Dach und schichtete Eichen- und Haselnusszweige über das klaffende Loch. Regina war optimistisch: Ein so primitiver Bau erforderte sicher nur die primitivsten Reparaturen. Doch als Severus einmal ungeschickt sein Gewicht verlagerte, gab seine Konstruktion nach, und er fiel in einem Regen zerbrochener Zweige auf den schlammigen Boden. Er stand auf, versetzte dem wirren Haufen einen Tritt, verwünschte die Götter der Christen, Britannier und Römer und stolzierte schmollend davon.
    Also kam Regina zu dem Schluss, dass sie es selbst tun musste.
    Sie lief in dem kleinen Haus umher und studierte die Dachkonstruktion. Die Kegelform beruhte auf mehreren Hauptsparren, die aneinander gelehnt und dann an der Spitze an einen mittigen Pfosten gebunden worden waren. Dazu kamen weitere komplizierte Holzkonstruktionen, die Überreste eines Ringbalkens und kreuz und quer

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