Der Orden
sehen. Aber sie bemerkte etwas Helles und Glänzendes, wie eine Münze in einem Brunnen. Noch vorsichtiger langte sie mit ihrer gesunden Hand nach unten und tastete danach. Es war schwer, die Tiefe des schlammigen Wassers zu beurteilen. Ihre Hand stieß bald auf etwas Hartes und Flaches – eine Klinge. Vorsichtig packte sie sie mit Daumen und Zeigefinger und zog sie heraus.
Es war ein Messer. Die Eisenklinge war stark verrostet, aber das Heft aus leuchtend gelbem Metall, in das schwungvolle kreisrunde Muster eingraviert waren, schien unversehrt. »Ich glaube, das ist Gold«, sagte sie erstaunt.
Marina war nicht beeindruckt. »Der alte Exsuperius würde dir wahrscheinlich einen Beutel Bohnen für das Eisen geben, aber nichts für das Gold«, sagte sie nüchtern.
»Ich möchte wissen, wie es dorthin gekommen ist.«
»Eine Opfergabe«, sagte Marina unerwartet. »Für den Fluss. Wenn man stirbt, gibt man ihm seine Rüstung, seine Waffen, seine Schätze. So hat man das schon immer gemacht, außerhalb der Städte. So wie früher… wahrscheinlich haben wir sie heraufgeholt, als wir am Schilf gezogen haben.«
Der Schatz eines Toten. Es war ein unheimlicher Gedanke, und Regina ließ den Blick nervös über die neblige, schlammige Landschaft schweifen.
In weiten Teilen des Landes war die römische Herrschaft mit ihren Sitten und Gebräuchen nicht sehr stark verankert gewesen. Solange die Menschen friedlich blieben und ihre Steuern zahlten, hatte es den Kaiser nicht sonderlich gekümmert, was sie in ihrem Privatleben taten. Vielleicht hatte eine Gemeinschaft in diesem abgelegenen Gehöft die Rituale ihrer fernen Vorfahren beibehalten und ihre persönliche Habe in den Sumpf geworfen, um die Göttinnen des Wassers und der Erde zu besänftigen. Regina fragte sich in einem rationalen Winkel ihres Bewusstseins, ob es für die verschwundenen Menschen nicht besser gewesen wäre, wenn sie ihre Waffen behalten und ihr Geld für den Handel oder für Schutzvorkehrungen ausgegeben hätten, statt alles derart verschwenderisch in diesen Sumpf zu werfen. Dann hätten sie den Römern besser Widerstand leisten können.
Wahrscheinlich lagen hier auch Leichen, die man ins Wasser geworfen hatte. Das wären nicht die Toten ihrer Zeit, sondern jener seltsamen, ferneren Vergangenheit vor den Legionären, den Volkszählern und Steuereintreibern: nicht ihre Toten, sondern die Toten anderer, fremder Menschen, deren Geister irgendwie vielleicht noch in den Nebeln dieser uralten, immer wieder umgestalteten Landschaft verweilten.
Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Sie steckte die kleine Waffe in ihren Gürtel.
Im Rundhaus reinigte Carta die Wunde in Reginas Hand mit Urin und rieb bei Exsuperius teuer erstandenen Honig hinein, um eine Infektion zu verhindern. Am nächsten Tag war es heller, und Reginas seltsame, abergläubische Ängste waren gebannt. Die Helligkeit brachte jedoch eine beißendere Kälte, und das Sumpfland fror zu und verbarg seinen seltsamen Schatz.
Als der Winter in den Frühling überging, wurde Regina mit ihrem schweren Bauch immer langsamer. Doch dies war eine Gemeinschaft von drei Frauen, einem alten Mann und dem unzuverlässigen, faulen Severus, und da war kein Platz für Müßiggänger.
Aber es war nicht mal so schlimm. Auf die eine oder andere Weise hatten sie immer genug zu essen, selbst im tiefsten Winter. Und als die Tage länger und wärmer wurden, fühlte sich Regina trotz der Last in ihrem Bauch seltsamerweise stärker denn je.
Und während Carta allmählich immer schwächer geworden war, schien es, dass die anderen Regina in zunehmendem Maße als ihre Anführerin betrachteten. Also stand sie jeden Morgen als Erste von ihrem Strohhaufen auf, holte als Erste Wasser, schaute als Erste nach ihren Fallen und gab mit ihren eigenen Anstrengungen immer ein Beispiel.
Sie konnte sich schlecht bücken und Dinge hochheben, und sie konnte nicht aufs Dach des Rundhauses klettern. Aber sie konnte einen Fußpflug bedienen. Eines Morgens machte sie sich daran, ihn über eins der Felder auf dem Hang hinter dem Gehöft zu ziehen. Man musste die Eisenspitze in den Boden graben, sie mit dem Fuß tiefer hineinstoßen und dann den Griff – der fast so lang war wie sie groß – nach hinten ziehen, um das Erdreich aufzubrechen.
Der eiserne Pflug mit seinem gebogenen Holzgriff, den der verschwundene Arcadius und seine Arbeiter unter einem Haufen verrottenden Sackleinens zurückgelassen hatten, war ein kostbarer Fund gewesen.
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